Leserpreis: Dominik Graf im Interview
Tom Schilling und Dominik Graf am Set von »Fabian« (2020). © Lupa Film, Julia von Vietinghoff
epd-Film-Leser haben gewählt. Bester deutscher Film 2021 ist Dominik Grafs »Fabian oder Der Gang vor die Hunde«. Die Adaption des Erich-Kästner-Romans führt ins Berlin der Weimarer Republik – und Grafs Inszenierung beweist, dass die Geschichte noch immer von hoher Dringlichkeit ist
Der Berlinaleempfang der Hessischen Landesvertretung konnte auch in diesem Jahr nicht stattfinden – striktes Partyverbot. Daher wieder keine Liveverleihung unseres Leserpreises. Sehr schade, denn mit Dominik Graf hat ein Regisseur gewonnen, der wie kaum ein anderer die zeitgenössische deutsche »Bildproduktion« geprägt hat: mit Genrefilmen, mit vielen Fernseharbeiten und zuletzt mit klugen Aktualisierungen literarisch-historischer Stoffe – dem Schiller-Film »Geliebte Schwestern« von 2014 und nun »Fabian«. Der erzählt von einem jungen Werbetexter und Schriftsteller, der trinkend und rauchend durch die Hauptstadt der Weimarer Republik driftet, Freundschaft und Liebe erfährt – und schließlich beide, Freund und Geliebte, an eine Gesellschaft verliert, die sich wirtschaftlich und politisch radikalisiert, die auf den Faschismus zusteuert. Anstelle einer Laudatio haben wir den in München lebenden Regisseur per Mail zu seiner Arbeit an »Fabian« befragt.
epd Film: Herr Graf, das Kästner-Projekt hat Sie jahrelang umgetrieben. 2019 haben Sie gedreht, und dann ist der Film auf der letzten Berlinale in die Pandemie geplatzt. Hat sich an Ihrem eigenen Blick auf »Fabian« im Lauf der Zeit etwas verändert? Stehen wir jetzt noch näher am Abgrund?
Dominik Graf: Ja, »umgetrieben« ist schon richtig, aber es war keine Mühe im Schweiße unseres Angesichts, es war immer mit Leichtigkeit und Liebe und mit Kästners auf ewig verschriftlichtem Charme verbunden. Constantin Lieb und Felix von Boehm, wir haben lange an Roman und Drehbuch rumgedacht, noch mal und noch mal geändert und neu gebaut. In den anderthalb Jahren, die der Film jetzt publik ist, hat sich mein Blick auf den Themenkomplex Weimar in Bezug zu heute kaum geändert. Wir stehen als Gesellschaft nach wie vor auf der Kippe. Aber ich bin – wie die Kästner-Figur – im Grunde nur zum Zuschauer geboren. Ich mag nicht, dass Filme mehr und mehr als Propaganda von was auch immer für gesellschaftliche Agenden genutzt werden. Die Kunst – soweit man bei unseren Filmen davon sprechen kann – muss auch in Zeiten der Gefahr absolut frei und gewissenlos bleiben. In Deutschland gab es kulturell immer staatstragende Tendenzen, Einflussnahmen und oktroyierte Verbotsregeln. Die mussten schon in der westdeutschen Bundesdemokratie dringend unterlaufen werden. In meiner Lebenszeit gab's ideologisch die RAF-Zeit – an mir sehr nah dran – und dann den für immer und ewig geglaubten Sieg des Kapitalismus ab den 90ern etwa bis 9/11. Nun sind alle gesellschaftlichen Propagandismen final obsolet geworden. Die Filmkunst wird zwar neuerdings im Kino und auch im Fernsehen wieder gekapert von McCarthy-artigen Regelwerken des »Richtigen«, sie muss sich diesem moralischen Zugriff aber entziehen. Film ist wie alle Kunst vor allem Ästhetik und Drama verpflichtet, also nur dem Leben und damit dem Leben in jedweder Form.
Haben Sie einen Unterschied bemerkt in der Rezeption der Kritik beim digitalen »Branchenevent« und der des Publikums der Sommerberlinale? Und wie ist der Film im Kino gelaufen?
Im Kino lief er ganz okay. Natürlich kein Blockbuster, denn so was wie »Fabian« läuft ja unter dem grauslichen Begriff »Arthaus«. Bei den beiden Berlinalen letztes Jahr war ich selbst jeweils verhindert, aber ich meine, mehr Sympathie für den Film im Sommer gespürt zu haben.
Was macht Vergnügen bei der Arbeit an historischen Stoffen? Und was – nicht so?
Alles, was einem an historischen Stoffen keinen Spaß macht, sollte man bleiben lassen. Sonst wird's sofort Pflichterfüllung, und das sieht und spürt man dann auch. Die Vergangenheit ist kein Feld für Belehrung, ich glaube auch, man muss die vergangenen Zeiten in vielerlei Hinsicht als unserer Zeit überlegen betrachten, man muss sie lieben. Natürlich gab es ebenso kleinliche Ordnungssysteme wie bei uns heute, tief im privaten Leben verankert, Religion et cetera. Es gab größenwahnsinnige Massenmörder. Die Menschen haben viel gelitten; die permanente Todesnähe in jenen Zeiten – Krieg, Verbrechen, Krankheiten – hat aber zumindest die Künstler wilder und auch emotional klüger und wissbegieriger gemacht, als wir es heute sind, glaube ich. Diese Klugheit müssen wir uns in historischen Filmen neu erfinden, und das fällt unserer Generation schwer – wenn man nicht das Glück hat, eine/n wie Kästner als literarischen Mitarbeiter zu haben.
»Fabian« zieht visuell alle Register: ungewöhnliches Format, Handkamera und Super 8, Dokumentarmaterial, Einblendungen und mehr. Welche Überlegungen standen dahinter?
Das war der Versuch, den avantgardistischen 20ern durch Formen-Mixshakes sozusagen entgegenzukommen, um das Zeitgefühl dieses Bürgertums, also auch Kleinkünstlertums, das wir da mit Kästner erzählen, für heute nachspüren zu lassen. Keine Tabus. Leben auf dem Hochseil, Erdbeben inklusive, Rauchen dringend erforderlich. Entgrenzte Sexualität, eine erbarmungslose Gesellschaft, zumindest im Moloch Berlin. Das war der Ausgangspunkt. Aber Kästner hat ja auch unendlich zarte Momente.
»Fabian« ist (vielleicht mit Ausnahme der Szenen im Club) weniger »aufgeregt« als andere Filme und Serien, die sich mit dem Berlin der 20er und 30er beschäftigen. Liegt das an Kästner oder war das sowieso Ihr Plan?
Man sollte in »Fabian« nach meiner Vorstellung auch die »Normalität« spüren. Selbst in vulkanischen Zeiten haben die Menschen ja auch einfach nur ihren Alltag gelebt. Und die Liebesgeschichte von Cornelia und Fabian war für mich sowieso immer das wahre Zentrum, auch im Roman.
Der Film handelt ja nicht pauschal von einer Gesellschaft, die in Richtung Faschismus strebt, sondern er fokussiert ein bestimmtes Milieu: urban (auch wenn Fabian ein Zugereister ist), intellektuell/akademisch, Bohème. Gibt es da vielleicht eine Botschaft an uns? Wer sollte »schwimmen lernen«, wie es am Ende des Romans heißt?
Das müsste man heute Erich fragen können. Ich denke, dass er die Kleinkriege in unserer Gesellschaft geradezu lächerlich fände. Zu viele Einflussnahmen, zu viel Forderung nach »Zeitgemäßheit«, die letztlich in Dummheit mündet.
Etwas, das Sie unseren Lesern sagen möchten?
Erst mal: danke! Und ja . . . »Lernt schwimmen!« Nein, Quatsch. Das versucht ja sowieso jeder irgendwie.
Etwas, das Sie als Preisträger wichtig finden?
Ich weiß, dass »Fabian« – nicht nur für mich – eins der schönsten Dreherlebnisse war. Es war anstrengend, 190 Minuten in 34 Drehtagen, das war natürlich zügig. Aber die Arbeit war von allen in fast allen Positionen beseelt, neugierig, »was wird heute passieren?«, spielerisch und glücklich machend – wenn man beispielsweise so eine Idee wie die mit den Stolpersteinen ad hoc entdecken und umsetzen kann. Reingehängt haben sich alle. Aber der Stoff, die Freiheit, die wir uns genommen haben, auch technisch, hat sie auch alle ein wenig mitgerissen, glaube ich. Bin sämtlichen Menschen, die dabei waren, sehr dankbar dafür.
Und wie geht's weiter?
Wie bisher. Hoffentlich weiter supergute Polizeithriller. Drehbücher. Und Literaturfilme. Und Musik.
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