»Game of Thrones: The Iron Throne« (S08E06)
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Aus, aus, aus. Das Spiel ist aus
Mit »The Iron Throne« geht einer der größten Serienerzählungen der Fernsehgeschichte zu Ende. »Game of Thrones« ist mehr als eine aufwändig produzierte Fantasy-Serie mit Drachen, nackter Haut und viel Gewalt. Es ist ein globales Phänomen der gegenwärtigen Populärkultur, dass Milliarden von Menschen begeistert, bewegt, schockiert und inspiriert. Nach 73 Episoden und mehr als acht Jahren komplexer Erzählung drängt sich nun alles zu der einen Frage: Hat es sich gelohnt? Die Jahre des involvierten Zuschauens, des Investierens in die Charaktere, des Mitfieberns und endlosen Fabulierens? Sollte man die letzte Folge »Game of Thrones« in einem Wort zusammenfassen, so wäre es versöhnlich. Das Lied von Eis und Feuer endet mit einem bittersüßen Akkord, der ebenso viele Zuschauer zufriedenstellt wie vor den Kopf stößt. Was it right, what I did, fragt ein gebrochener Jon Snow stellvertretend für die Drehbuchautoren. What we did, korrigiert Tyrion. Ask me again in ten years ist die diplomatische Antwort.
»The Iron Throne« knüpft an die postapokalyptischen Bilder der letzten Folge an. Tyrion schreitet durch die niedergebrannten Ruinen von King’s Landing. Entsetzen, Enttäuschung und Schuld zeichnen sein Gesicht. Dies ist kein Siegerplatz, sondern der Anblick einer niederschmetternden Niederlage. Unter den Ruinen des Red Keep findet er die goldene Hand seines Bruders. Tränenreich setzt er die Leichen seiner Geschwister Jaime und Cersei frei und verfällt in tiefe Trauer. Währenddessen werden Jon Snow und Ser Davos an anderer Stelle Zeuge der ansteckenden Grausamkeit von Königin Daenerys Targaryen. Grey Worm und seine Unsullied verurteilen die letzten Lannistersoldaten zum Tode. Jon will ihn davon abhalten, es kommt zur Konfrontation. Davos deeskaliert die Situation. Hilflos müssen sie die Hinrichtung ihrer Gefangenen hinnehmen. Der unbarmherzige Befehl kommt von ganz oben.
Danys Verwüstung von King’s Landing war nicht einfach der Ausrutscher eines emotional und mental angeschlagenen Teenagers. Es war der erste Schritt in eine schöne, neue Welt, die nur aus der Asche der alten Welt entstehen kann. Dany ist zur Fanatikerin geworden. Das Drachenmädchen, dass sich Staffel für Staffel gegen Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Tyrannei eindrucksvoll zur Wehr setzte, kommt aus ihrem Befreier-Modus nicht mehr heraus. Ihre Befriedung wird zum endlosen Vernichtungskrieg, bis die ganze Welt vom Bösen gesäubert ist. Tyrion erkennt das Ausmaß seiner Fehleinschätzungen und wirft sein Amt als Hand nieder. Wegen Hochverrats wird er in Ketten gelegt und wartet einmal mehr auf seine Exekution. Jon stattet dem Todgeweihten einen letzten Besuch ab. Es kommt zu einem folgeschweren Gespräch. Tyrion will Jon überzeugen, Dany aufzuhalten, bevor sie ganz Westeros – inklusive Jons Schwestern – in Brand setzt. Tyrion argumentiert, räsoniert, appelliert. Doch Jon wehrt ab; Er kann Daenerys nicht verraten, er liebt sie. Liebe ist der Tod der Pflicht, aber manchmal muss die Pflicht der Tod der Liebe sein. Jon muss sich entscheiden.
Der Höhepunkt der Handlung ist erreicht. Dany steht im verwüsteten Thronsaal, die Szenerie ähnelt sehr ihrer Vision im House of the Undying aus »Valar Morghulis« (S02E10). Sie steht vor dem Eisernen Thron, der unbeschadet den Ruinen trotzt. Behutsam berührt sie das Objekt ihrer Begierde. Diesmal ist es kein Traum. Der kalte Stahl ist echt. Dany hat ihr Ziel erreicht. Das Vermächtnis von Aegon dem Eroberer ist das ihre. Jon kommt hinzu. Sie streiten über Danys Taten, die für Jon Grausamkeit und Kriegsverbrechen bedeuten, für Dany aber ein notwendiges Übel für das größere Wohl darstellen. Erst, wenn die Welt befriedet ist, wird es Platz für Gnade geben. Danys fundamentalistisches Gut-Böse-Schema entspricht der grausamen Naivität der High Fantasy. Die Taten des Helden sind immer gut, da er Held von Natur aus weiß, was Gut und Böse ist. Keiner sonst darf entscheiden. Jon und Dany fallen sich in die Arme. Es ist die Umarmung, auf die Dany so lange wartete und die Jon ihr nun endlich geben kann. Jon hat sich entschieden. Weder sie noch wir sehen den unvermeidlichen Dolch kommen, den Jon in Danys Herz rammt. Es ist der letzte große Verrat der Serie, und er wird von Jon Snow begangen. Der einst selbst Ermordete wird zum Mörder. Zärtlich legt er die sterbende Dany zu Boden, die ihn mit ihren überraschten Augen anschaut. Die größte Wende der finalen Staffel ist antiklimatisch. Kein Paukenschlag, kein spannungsgeladenes Aufbauen, kein unheilvolles Klavier. Es ist, als ob Jon sie allein mit seiner Umarmung umgebracht hat.
Auf den emotionalen Höhepunkt von Danys Tod folgt der inhaltliche. Drogon fliegt herbei und findet Jon Snow am toten Körper der Drachenmutter weinen. Jon tritt zurück. Er erwartet seine gerechte Strafe. Drogon verfällt in Raserei, eine Feuerbrunst baut sich in seinem Rachen auf. Doch wendet Drogon seinen Zorn nicht gegen Jon, sondern den Eisernen Thron. In Drachenfeuer einst geschmiedet, wird er nun durch Drachenfeuer zerstört. Das zentrale Machtsymbol von Westeros zerfließt in geschmolzenem Metall dahin. Der Drache hat es verstanden: Jon führte den Dolch, doch war es der Thron, der Dany wirklich tötete. Das Streben nach Herrschaft, das sich darin entfaltende Spiel um Ruhm und Macht, Ambition, Kalkül, Stärke, Skrupellosigkeit und Schicksal. Krieg, Tod, Intrige und Verrat, sie alle geschahen wegen dieses verdammten Throns. Ohne ihn ist Westeros besser dran. Die Zerstörung des Eisernen Thrones ist ein schönes Bild und Kulmination der Serienhandlung. Zwar ist das Spiel nicht vorbei, nur weil der Pokal zerstört wurde. Doch vielleicht wird das Spiel jetzt ein wenig besser gespielt.
Und so kommt die Folge schließlich zum kausalen Klimax, der Auflösung der Handlung und das Ende der in dieser Geschichte dargebotenen Ereigniskette. Was jetzt folgt, sind Aufräumarbeiten. Letzte Geschichten werden zu Ende erzählt, ausstehende Payoffs und Belohnungen ausgeschüttet. Ein hoffnungsvoller Ausblick wird gewagt, mit Perspektive auf mögliche Spin-Offs und Erzählerweiterungen. Einige Zeit ist verstrichen seit Jons Tat. Er und Tyrion sind weiterhin Gefangene unter Grey Worms provisorischer Militärherrschaft. Schließlich steht Tyrion ein weiteres Mal vor Gericht. Im Dragonpit. Der Ort, an dem in »The Dragon and the Wolf« der Traum eines geeinten Westeros angesichts der gemeinsamen Bedrohung durch die White Walker seinen Anfang nahm, wird abermals Schauplatz einer großen Zusammenkunft. Zum dritten Male in der Geschichte von Westeros tritt ein Great Council aus den Lords und Ladies der Sieben Königreiche zusammen, um zu bestimmen, wer ihr König wird. Doch wer soll es sein? Tyrion nominiert Brandon Stark zum neuen König und kann die Mächtigen der verbliebenen Sechs Königreiche überzeugen, den gebrochenen Jungen als ihren neuen Herrscher zu akzeptieren. Währenddessen erklärt Sansa die Unabhängigkeit des Nordens.
Bran the Broken wird König. Wie jede gute Wende ist es auf den ersten Blick eine Überraschung, doch macht alles Sinn. Bran ist der Herrscher, den Westeros vielleicht nicht will, aber braucht. Er verkörpert Weisheit. Ihm steht der Zugriff auf die objektive Geschichte selbst zur Verfügung. Die Vergangenheit ist gerade in einem Land mit einer so reichen wie blutigen Historie der beste Lehrmeister. Bran kann von ihren Fehlern lernen, statt sie zu wiederholen. Er ist der perfekte Stoiker. Er ist distanziert und kontrolliert genug, um nicht durch eigenes Begehren sowie den Interessen seiner Familie befangen zu sein. Die apathische Selbstkontrolle seiner Affekte bedeutet jedoch nicht Passivität, Resignation oder Gleichgültigkeit. Sie gibt ihm eine innere Ausgeglichenheit und Ruhe, in der seine Menschlichkeit liegt, die er zuletzt im Umgang mit Jaime in »A Knight of the Seven Kingdoms« und vor allem mit Theon in »The Long Night« an den Tag legt. Vor allem aber, so Tyrion, verfügt Bran über eine überzeugende Geschichte. Der gebrochene Junge, der am Anfang nichts hatte und zur Three-Eyed Raven wurde, ist ein Hoffnungssymbol für das zerbrochene Königreich selbst. Was vereint die Menschen? Eine gute Geschichte. Nur ein Drehbuchautor kommt auf so einen kitschigen Satz. Dennoch birgt er Weisheit. Die Machtdiskurse von Westeros sind Narrative, die solang funktionieren, wie Menschen an sie glauben, sie verbreiten und weitererzählen. Bran stellt die ultimative Vereinigung von Narration und Geschichtsschreibung dar. Der Geschichtenschreiber, so Aristoteles, stellt die Welt dar, wie sie ist – chaotisch, durcheinander, unvollkommen. Erst in der Geschichte des Erzählers bekommt sie einen Sinn, wird die Ordnung des Kosmos offenbar, weil alles einer Kausalität folgt. In dieser Ordnung liegt die Schönheit wie auch der ursprüngliche, göttliche Sinn, der verspricht: Es war nichts umsonst. Alle Teile fügen sich zu einem Ganzen. Die Serie beginnt mit Brans Fall und endet mit seinem Aufstieg. Am Ende siegt die Poesie.
Der Abschluss der Folge bilden eine Reihe von vielen Enden, die an den dritten Teil der »Herr der Ringe«-Trilogie denken lassen. Bran wird König; Tyrion wird seine Hand. Es ist sein Richterspruch – er ist dazu verdammt, seine vergangenen Fehler wieder gut zu machen. Jon muss jedoch zurück an die Mauer zur Night’s Watch (ja, sie scheint noch zu existieren), um dort seine Tage abzusitzen. Es ist der Kompromiss aus Freiheit und Exekution. Sansa wird als Queen of the North ausgerufen und regiert den unabhängigen Norden. Arya wird zur Entdeckerin und reist in den unbekannten Westen von Westeros, um neue Abenteuer zu erleben. Der Rest der Figuren dient König Bran im Small Council. Tyrion als Hand; Bronn als Master of Coin und Lord of Highgarden; Davos als Master of Ships; Sam als Grandmaester; Ser Podrick als Kingsguard und Ser Brienne als Lady Commander of the Kingsguard. In dieser Funktion vollendet sie die Geschichte von Jaime Lannister im Buch der Königsgarde. In den letzten Einstellungen der Serie sehen wir Jon und die Wildinge in den Norden jenseits der Mauer aufbrechen, um diesen neu zu besiedeln. Es ist eine Parallele zum Anfang der Serie. »The Iron Throne« beginnt mit dem Tod und endet im Leben. Ein zaghafter Traum vom Frühling erblüht im kalten Winter.
War »The Iron Throne« also ein gelungenes Ende? Natürlich, die Folge hätte mehr Szenen verdient, wie auch die finale Staffel mehr Folgen. Der Weg, er war holprig; doch die erreichten Handlungsmomente waren zufriedenstellend genug. »The Iron Throne« war nicht die Erfüllung sämtlicher Wünsche, aber auch nicht die herbe Enttäuschung, die viele fürchteten. Nie zuvor hat eine Serienadaption die Geschichte noch vor der Buchvorlage selbst zu Ende bringen müssen. Benioff und Weiss haben das Beste aus ihrer Situation gemacht. Am Ende war es ihre Version, ob man sie mochte oder nicht. Aber es war eine Version, die andere neben sich existieren lässt. Und wer weiß, ob das eigentliche Buchende je kommen wird. Was also bleibt, ist die Hoffnung auf Erneuerung, auf Wiedergeburt und Frühling. Nichts besteht, selbst die Endgültigkeit eines Finales. Die nächsten »Game of Thrones«-Spin-Offs sind bereits in der Pipeline; das erste Projekt beginnt seine Dreharbeiten im kommenden Juni. Nothing ever ends, ist also die finale Botschaft dieses grenzenlosen Textes. Und ist das nicht das versöhnlichste Ende von allen?
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Die Folgen der aktuellen achten Staffel »Game of Thrones« sind in Deutschland jeden Montag exklusiv auf Sky zu sehen. Im Einzelabruf als VoD sind sie ab Dienstag bei Amazon, iTunes und im Microsoft Store verfügbar.