Fortschreitende Görlitzisierung

Unsere "steile These" des Monats Juni
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Letztens wieder, in der Tragikomödie »Es war einmal in Deutschland«, die in Frankfurt spielen soll: Moritz Bleibtreu geht in das zerstörte Kaufhaus, das seiner Familie gehört . . . und als eingeplackte Hessin erkennt man die Fassade sofort als Görlitz. Denn Görliwood ist der angesagteste Drehort in Deutschland. Nun ist es zwar okay, wenn hübsche sächsische oder sächsisch-anhaltinische Städte in »Monuments Men«, »Frantz« oder »Grand Budapest Hotel« als Idealbilder eines auf kuschlig oder schauerromantisch getrimmten Mitteleuropas fungieren. Doch wann haben Sie zum letzten Mal einen deutschen Film ausgesessen, in dem sich Geschichte und Ort ergänzen, dessen Schauplätze die Fantasie anregen und das Gefühl erzeugen: »Das würde ich gern in echt sehen?« Dies beklagt jemand, der nicht nur in französischen Filmen beim Nachspann sitzen bleibt, um die Danksagungen an die Verwaltung des Parc régional soundso oder den Hotelier Machin zu erhaschen und hastig die Namen zu notieren, zwecks künftiger Ausflüge. Ich weiß auch, dass das Hôtel de la Plage in Saint Marc-sur-Mer, wo Monsieur Hulot Ferien machte, noch existiert.

Es geht hier nicht um aufgesexte Postkartenidyllen; französische Filmemacher kriegen es meist elegant und unaufdringlich hin, dem Publikum die Schönheiten der Provinz unterzujubeln, etwa Nancys Jugendstilbauten in »So viele Jahre liebe ich dich«, die Hafenstraße in Sète in »Bezaubernde Lügen«, die Berge des Vercors in »Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer«. Bei uns zeigen nur Kinderfilme pittoreske Ecken; Filme für Große spielen gewöhnlich in Berlin, das alles, aber nicht nett ist, wenn sie sich nicht ganz in Bungalows des späten Bauhaus zurückziehen. Oder es müssen zum x-ten Mal die dämonisch aufgeblasenen Frankfurter Hochhäuser als Beweis für die Bosheit der Welt herhalten. Als »spannend« werden solche filmischen Jammertäler meist gelobt. Ach je! Das Schöne scheint bei uns unter Rosamunde-Pilcher-Generalverdacht zu stehen. Hat das was mit lustfeindlichem Protestantismus zu tun, mit den Förderrichtlinien, oder handelt es sich schlicht um ästhetisch-philosophische Blindheit? Liebe Filmemacher, sperrt doch mal die Augen auf!

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