Filmdrehorte: Umsonst und draußen
Foto: Alexander Matzkeit
Wo, bitte, geht's nach Downton Abbey? Früher hätte man Einheimische nach dem Drehort der beliebten Serie fragen müssen. Heute führen Wegweiser und Apps den Fan zu Filmsets in aller Welt – von Dubrovnik über Island bis ins österreichische Sölden. Filmtourismus liegt im Trend und ist eine organisierte Angelegenheit. Alexander Matzkeit meint, Reisende solle man nicht aufhalten
In der Calton Road wird gerade gebaut. Das beeinträchtigt die Stimmung leider sehr. Zwecklos, darauf zu warten, dass ein Auto aus der Einfahrt kommt, über dessen Motorhaube man ein irres Grinsen in die Welt schicken könnte – wie einst Mark Renton in der ikonischen Eröffnungsszene von Danny Boyles »Trainspotting«. Ich muss mich mit Fotos und einer Rezitation des »Choose Life«-Monologs begnügen. Aber dass ich herkommen würde, in diese historische Seitenstraße in Edinburghs Zentrum, stand bereits vor meinem Urlaub fest.
Ich bin nicht allein. Nicht nur in der Calton Road, wo sich auch andere »Trainspotting«-Fans herumtreiben. Filmfans sind schon immer gepilgert – zu den »Homes of the Stars« und dem Hollywood-Boulevard, aber auch zu den oft entlegenen Drehorten ihrer Lieblingsfilme. Sie wissen, dass in der tunesischen Wüste ein paar verwitterte Überbleibsel von Lukes Feuchtigkeitsfarm aus »Star Wars« zu besichtigen sind oder dass in der Nähe des südspanischen Alméria viele Italowestern ihr Pulver verschossen haben. Ganz zu schweigen von Filmstädten wie New York, Los Angeles oder Berlin, zu denen einige Regalmeter mit einschlägigen Reiseführern gefüllt wurden. Doch seit einigen Jahren hat der Filmtourismus eine neue Qualität erreicht. Wo man früher oft Einheimische nach dem Weg fragen musste, ist eine kleine Industrie aus dem Boden geschossen.
Eine Voraussetzung dieser Entwicklung: Drehs außerhalb der Studios an beeindruckenden Schauplätzen haben zugenommen, ironischerweise nicht trotz, sondern wegen digitaler Technologien. Fernsehantennen an Gebäuden etwa müssen heute nicht mehr mühsam abmontiert werden, sie lassen sich einfach in der Postproduktion digital entfernen. In Totalen können ganze Gebäude und Aussichten durch digitale Modelle und matte paintings nahtlos ersetzt werden. Häufig bedeutet das auch, dass die gefilmten Orte nicht sich selbst repräsentieren, sondern fantastische Orte aus anderen Welten, die von Filmemachern behutsam konstruiert werden. Perfekt für Touristen.
Neuseeland hat es vorgemacht. Als die Besucherzahlen für das kleine Land am Ende der Welt nach dem Erfolg der »Herr der Ringe«-Filme stiegen, nannte das Land sich einfach selbst »Home of Middle-Earth« und begann, die Drehorte als Teil des Urlaubserlebnisses zu vermarkten. Regisseur und Produzent Peter Jackson, für den der Dreh sowieso schon immer auch Standortförderung war, spielte mit und ließ die Hobbiton-Sets in der Region Matamata für seine zweite Mittelerdetrilogie »Der Hobbit« gleich so anfertigen, dass sie nach dem Dreh als Touristenattraktion stehen bleiben konnten. 2014 gaben in einer Studie 13 Prozent der Touristen an, dass der Mittelerdeeffekt einer ihrer Reisegründe war. Da geht es um mehrere hundert Millionen Dollar Umsatz.
Auch in Großbritannien ist »Screen Tourism« ein blühender Geschäftszweig, seit eine Studie von »Creative England« seinen Wert zwischen 100 und 140 Millionen Pfund veranschlagte. Touristen besuchen Alnwick Castle in Northumberland, das in mehreren »Harry Potter«-Filmen als Hogwarts zu sehen war, das Örtchen Bampton in Oxfordshire, das der Serie »Downton Abbey« als Kulisse diente, oder den verwunschen wirkenden Puzzlewood in Gloucestershire, der seit den 1960ern als Location für »Dr. Who« verwendet wurde und vor kurzem in »Star Wars: Das Erwachen der Macht« zu sehen war. Wichtig ist, so stellen die Studienautoren fest, dass der Ort prominent im Film zu sehen ist und eine gewisse Rolle im Plot spielt.
Voll im Trend liegen zurzeit die Drehorte der Serie »Game of Thrones«, die überall in Europa verteilt sind. Nordirland ist wohl am offensichtlichsten auf den Filmtourismus-Zug aufgesprungen. Die örtliche Tourismusbehörde hat gemeinsam mit HBO sowohl eine App (Android | iOS) entwickelt, die Touristen den Weg zu den wichtigsten Locations weist, als auch vor Ort entsprechende Schilder angebracht – mit positiven Effekten für die wirtschaftlich angeschlagene Region. Weitere »Game of Thrones«-Locations liegen etwa in Kroatien, wo die Stadt Dubrovnik als Double der Hauptstadt King's Landing fungiert, Spanien, Malta – ohnehin ein beliebter Drehort für Sandalenfilme von »Gladiator« bis »Assassin's Creed« –, Marokko und schließlich Island, Ort aller Szenen, die in Westeros »jenseits der Mauer« spielen. Der Inselstaat mit seinen Vulkanlandschaften ist seit Jahren erste Wahl für Filme, die auf fremden Planeten oder in mythischen Zeiten spielen, und war zuletzt in »Noah«, »Interstellar« und »Prometheus« Schauplatz.
Andrea David hat ihre Diplomarbeit in Tourismusmanagement über Filmtourismus geschrieben, arbeitet seitdem als Beraterin für die Branche und dokumentiert ihre eigenen Reisen als »Set-Jetterin« in ihrem Blog »filmtourismus.de«. »Filmtourismus ist immer noch eine Nische«, sagt sie. Noch werde das Thema nur an wenigen Orten ernst genommen. Schwierig sei auch, dass es nicht den prototypischen Filmtouristen gäbe, der überall hinfährt, wo jemals etwas gedreht wurde. Das Publikum von »Breaking Bad« unterscheide sich eben doch von dem des »Bergdoktors«, und die Angebote müssten entsprechend angepasst werden.
Eine Erkenntnis, die David von ihren Reisen mitgenommen hat: Wichtig ist das Engagement einzelner Personen oder Institutionen vor Ort. Das Städtchen Hope in British Columbia, Drehort des ersten »Rambo«-Films, zieht heute rund 14 000 Besucher pro Jahr an. Dafür sei maßgeblich der Filmfan Brian McKinney verantwortlich, der mit elf Jahren am Set stand und seitdem daran arbeitet, Hope als »Rambo-Stadt« bekannt zu machen.
Manchmal erzwingen gar die Gäste erst die Identifikation. Lake Lure in North Carolina bestand während des Drehs von »Dirty Dancing« darauf, nicht genannt zu werden, und gab die Hotels am See nicht als Drehort frei. Als Patrick Swayze und Jennifer Grey sich allerdings in die Herzen von Millionen tanzten und immer mehr Touristen wegen des Films anreisten, machte die Stadt aus der Not eine Tugend. Heute findet in Lake Lure jährlich ein »Dirty Dancing«-Festival statt, bei dem Besucher sich im See mit ihren Hebefiguren messen und Wassermelonen um die Wette tragen können. So sei es häufig, sagt Andrea David. »Erst kommen die richtigen Fans, später die normalen Touristen.«
Diese Erkenntnis ist inzwischen auch im deutschsprachigen Raum auf fruchtbaren Boden gefallen. Oft treiben die Filmförderanstalten den Gedanken voran und gehen auf die örtlichen Tourismusgesellschaften zu. Auf der Website der Mitteldeutschen Medienförderung findet sich seit September 2016 eine interaktive Karte mit Drehorten und angeschlossenen Angeboten, von der »Filmburg« Querfurt im Saalekreis, auf der einige neue Märchenfilme entstanden, bis nach »Görliwood«, wo »Die Vermessung der Welt«, »Goethe!« und »Grand Budapest Hotel« gedreht wurden. Brandenburg und Bayern zogen 2017 nach – Tourismus Marketing Brandenburg präsentiert auf seiner Seite Drehorte von »Inglourious Basterds« bis »Tschick«.
»Wir sehen uns als Impulsgeber, nicht als touristischer Dienstleister«, erklärt exemplarisch Alexandra Luetkens von der Filmförderung Hamburg-Schleswig-Holstein. Gemeinsam mit Hamburg Tourismus habe man die Initiative »Filmstadt Hamburg« anschieben können, die heute im Internet Touren zu großen Produktionen (»007«, »Soul Kitchen«), Fernsehkrimis (»Großstadtrevier«, »Notruf Hafenkante«) und der Familienserie »Die Pfefferkörner« anbietet. Im Rahmen des Filmfests Hamburg im Oktober sollen Tablet-Touren angeboten werden, bei denen Teilnehmende vor Ort die passenden Szenen auf dem Display sehen können.
Inzwischen arbeitet die FFHSH im Rahmen des EU-Projekts Crossmotion, das die Filmindustrie mit anderen Branchen vernetzen soll, an einem Prototyp für eine Drehort-App, die später auch andere Anbieter nutzen können. Für Luetkens ist die Verknüpfung eine Win-win-Situation: »Wir schaffen größere Aufmerksamkeit für den Filmstandort Hamburg, erhöhen die Sichtbarkeit der Filme und hoffen, dass dadurch auch die Bedingungen für Dreharbeiten verbessert werden.«
Auch in Österreich ist das Thema angekommen. Mit einer Konferenz im April 2016 wurde es von Wirtschaftsministerium und Filmverband auf die Tagesordnung gehoben, nicht nur, weil das Restaurant »Ice Q« im Skiort Sölden, das in »Spectre« als Reha-Klinik für James Bond fungiert, seit Erscheinen des Films großen Besucherzuwachs hat. Die Region Wilder Kaiser in den Ostalpen veranstaltet jährlich »Bergdoktorwochen«, zu denen auch Stars der Serie anreisen. Das Engagement sollte fortgesetzt werden, so die Erkenntnis der Konferenz.
Was jedoch alle Experten betonen: Für erfolgreichen Filmtourismus gibt es keine Garantie. Wenn ein Film nicht zum Hit wird, der Drehort nur kurz zu sehen oder nicht emotional aufgeladen ist, ist ein Hinweis darauf für Besucher der Region bloße Beigabe. Niemand wird eigens an einen Ort reisen, nur weil dieser in einem unbekannten Film für einige Minuten den Hintergrund füllt. Nicht zuletzt deswegen gelten Serien wie so oft inzwischen als die sichereren Investitionen, da sie meist mehrfach an die gleichen Orte zurückkehren und das Publikum tiefer ins Setting hineinziehen. Nicht die Tatsache, dass ein Film gedreht wurde, macht den Reiz aus, sondern die Handlung, die dort transportiert wurde.
Wer heute etwa San Juan de Gaztelugatxe im Baskenland besucht und die lange Freitreppe über die Bucht emporsteigt, für den ist es vermutlich unwichtig, sich vorzustellen, wo genau die Kamerakräne und die Makeup-Wohnwagen der Schauspieler standen. Er möchte sich fühlen wie Daenerys Stormborn, die in der jüngsten Staffel von »Game of Thrones« nach vielen Jahren ihr Heimatland Westeros betritt, um sich den Eisernen Thron zurückzuholen. Dabei ist es am Ende irrelevant, dass am Kopf der Treppe nicht die per Computer eingefügte Festung Dragonstone wartet, sondern ein mittelalterliches Kloster. Wichtig ist, dass es nur wenig Vorstellungsvermögen braucht, um das flache Fernsehbild lebendig werden zu lassen und zu merken, dass man plötzlich mittendrin steht.
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