Eros der Möglichkeiten

Techno-SciFi-Kunst-Phantasie
»Art Girls« (2013)

»Art Girls«

Einer wie der Essay- und Experimentalfilmer Robert Bramkamp hat es im Kino schwer. Trotzdem haben es die »Art Girls«, die 2013 in Hof liefen, jetzt auf die Leinwand geschafft. Aus diesem Anlass ein Streifzug durch Bramkamps Werk, das um Wissenschaft, Kunst, Pop und Landwirtschaft kreist

Was ist ein essayistischer Film? Machen wir es uns zunächst mal leicht. Essayistische Filme sind solche, in denen alles erlaubt und nichts willkürlich ist, Filme, die Elemente von Spielfilm und Dokumentation, Argument und Emotion, Subjektivität und Wissenschaft miteinander verknüpfen, und zwar auf eine Art, die man sowohl auf ihren diskursiven als auch auf ihren poetischen Gehalt hin untersuchen kann. Essayistische Filme sind, buchstäblich, Filme, die etwas versuchen, die nicht zeigen, sondern forschen, und in denen die Dinge nicht etwas repräsentieren, sondern etwas sind. Kurz: Essayistische Filme sind Filme, die es in einer Kino- und Fernsehmaschine wie der unseren verteufelt schwer haben. Auch wenn es im deutschen Film durchaus eine Tradition des essayistischen Films gibt und Autoren wie Alexander Kluge und Harun Farocki Brücken in die Zukunft des Mediums entworfen haben. Aber für den essayistischen Film ist es nach wie vor schwierig, einen Platz zu finden zwischen Kunst und Kino, Diskurs und Poesie. Seine künstlerische Stärke ist zugleich seine ökonomische Schwäche. Fantasie ist gefragt, Bewegung auch.

»Art Girls« (2013)  © realeyz Arthouse Cinema

Robert Bramkamp, Jahrgang 1961, zum Beispiel. Seit ich 1987 bei den »Filmzwergen« in Münster seinen philosophischen Weltraum-Essay »Der Himmel der Helden« gesehen habe, folge ich seiner Arbeit, weniger als Kritiker denn als Freund, oder so wie einer, der einem Künstler nahezu überallhin folgt, weil er sowohl von seiner ästhetischen Methode als auch von seiner artistischen Redlichkeit zutiefst überzeugt ist. Kehre zurück bei jedem seiner Filme in den Bramkamp-Kosmos und freue mich wie ein Kind, wenn die Reise wieder einmal ganz woandershin geht.

»Himmel der Helden« (1987)

Es geht vielleicht erst einmal darum, die Dinge zusammenzubringen, die sich in ihrer Isolation eingerichtet haben und dabei falsch geworden sind. Die Literatur und der Pop, lange bevor das Mode wurde, in »Katharina bewegt sich« (1984), die Weltraumfahrt, die Liebe und die Politik in »Himmel der Helden« (1987), Architekturkritik und Poesie in »Der Mann am Fenster« (1989), die Landwirtschaft und der Impressionismus in »Gelbe Sorte« (1987). Immer geht es da um Gedankenexperimente, die nie ganz aufgehen, um die Erweiterungen des Möglichkeitsraumes, um ein Alexander-Kluge'sches Hinterfragen, das seine Protagonisten zu erstaunlichen Unternehmungen führt. In den meisten von Bramkamps Filmen steht genau dies im Mittelpunkt: eine Unternehmung. Jemand oder eine Körper gewordene Idee von jemandem unternimmt etwas, was man als das Gegenteil von Verweigerung, aber auch das Gegenteil von »Mitmachen« charakterisieren könnte. Jemand setzt dem laufenden Wahnsinn der Welt eine anmaßende, poetische, oft wundervoll komische und durchaus nicht ungefährliche Parallelaktion entgegen. Wo die Wirtschaft an der Überproduktion leidet, hilft zum Beispiel nur eine gewerbsmäßige Nullproduktion, allerdings: »Die Nichtproduktion der Überschüsse darf sich von der Produktion des Bedarfs nicht erkennbar unterscheiden«, wie es in »Gelbe Sorte« treffend heißt.

Wenn man mutig genug ist, kann man eingestehen, dass alle Filme von Robert Bramkamp von Grund auf realistisch sind, und das um so mehr, als sie im Kern nichts anderes als die fulminante Entfaltung von Paranoia wiedergeben. »Katharina bewegt sich« ist neben anderem auch eine ziemlich präzise Beschreibung studentischer Alltagspraxis in den Geisteswissenschaften. Oder eine Einführung in ein reichlich paranoides Subsystem, wie man es nimmt. Und die Durchdringung aller Denksysteme durch ein psychologisches System in »Die Eroberung der Mitte« oder der Raketenbau in Peenemünde in »Prüfstand 7« sind, konsequent komplexitätsreduziert betrachtet, immer auch als mustergültige Paranoia zu verstehen.

Was uns natürlich zu Thomas Pynchon bringt, ganz offensichtlich einem Fixstern im Bramkamp-Kosmos. So wie sich bei Pynchon gleichsam Texte selbstständig machen, um ihr eigenes Leben zu entfalten, so verwandeln sich bei Bramkamp Filme in lebendige Systeme, die unentwegt weiteragieren und -reagieren. Das filmische Subjekt ist weder der Autor noch der Schauspieler, sondern es spaltet sich immer weiter auf, in individuelle und kollektive, in feste und in fließende, in stehende und fliegende Formen. Was man im übrigen wiederum ganz direkt und sinnlich auffassen kann, aus einer Liebe zu gleitenden Bewegungen, zum Fliegen (einschließlich der Eleganz fliegender Frösche) und zur Landwirtschaft (in »The Man Who Was Cary Grant« aus dem Jahr 1985 werden frühere Filmaufnahmen des Stars entdeckt; damals war er noch Mähdrescherfahrer).

In »Prüfstand 7«, kreisend und spiegelnd um Thomas Pynchons Jahrhundertroman »Gravity's Rainbow« (deutscher Titel: »Die Enden der Parabel«), wird die Rakete selbst, als kollektives Symbol oder als lebendes Ding der Technologie, in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, zum Erzählsubjekt. Überhaupt ist hier nie genau festgelegt, wer da eigentlich wem was erzählt. Von einem »Kollektivsingular« spricht er in Bezug auf »Gelbe Sorte«, die kollektiven Erzähler übernehmen in »Neue Natur – Art Girls Intern«, und in »Die Eroberung der Mitte« ist das Duell der beiden medizinischen »Heiler« durchzogen von Fragen nach der Autorschaft. Statt Zuordnungen zu konstruieren, schaffen Bramkamps Filme Räume, in denen man Fantasie und Erkenntnis erproben kann. Nie schreiben diese Filme etwas vor, immer lassen sie mehr Möglichkeiten des Sehens und Bewertens zu, als man verbrauchen kann.

Die verborgene Magie der Dinge tritt immer wieder in Bramkamps Filmen hervor, etwa in »Beckerbillett« (1992), wo die Produkte des Hamburger Eintrittskartenherstellers zu einer wunderlichen Parallelwährung, einem Schatz jenseits der trivialen Bestimmung von Billetts werden. Wenn man ein Ding nur genau genug ansieht, dann fängt es an zu leben. So wie eine Kamera, die einen Menschen anstarrt, ihn unweigerlich zu einem Objekt macht, weshalb auch das Wegschauen-Können zur Kunst des Filmemachens gehört. Robert Bramkamp zum Beispiel macht seine Filme mit Schauspielern – erst recht seit er mit Inga Busch und Peter Lohmeyer kongeniale Mitarbeiter vor der Kamera gefunden hat – und mit der Crew oder mit Susanne Weirich als Koautorin als offenen Prozess. Man sieht hier vielen Leute beim Denken zu. Deshalb hören die Filme auch nicht auf, wenn das Licht wieder angeht.

Bei alledem sind Bramkamps Filme immer sehr genau und gewissenhaft. Das gilt nicht nur für das cineastische Handwerk, es gilt auch für die Beobachtung sozialer Abläufe. Wie Kluge und Farocki hat Bramkamp großen Respekt vor der Arbeit. Wie funktioniert Schweinemast? Wie gehen Segeln, Drucken, Technik, Therapieren und Konditionieren (in »Die Eroberung der Mitte«)? In jeder, nicht nur in der künstlerischen Arbeit steckt ein Schöpfungsakt, der freilich immer ambivalent bleibt. Die Technik der Schweinemast etwa verwandelt die Tiere in andere, gleichsam amphibische Wesen in »Gelbe Sorte«; wenn die »Kunstwirkung« in »Neue Natur« tatsächlich greift, erzeugt das, ebenso wie eine medizinisch erzeugte Biosynchronizität, katastrophische wie utopische Ausblicke. Aber so, wie eine nur konsequent angewandte Technik am Ende immer ins Wunder führt, so lässt sich ein Wunder auch wieder technisch erzeugen (in Bramkamps Filmen geht es nämlich nicht, wie in der Mehrzahl der deutschen Filme, um eine Mythologie des Scheiterns, sondern eher um eine Poesie des sonderbaren Gelingens). Im frühen »Stand By« (1983) wird das doppelte Scheitern – das Bedienen eines Musikrekorders und der mögliche Wiederbeginn einer Liebesgeschichte – durch eine technische Kopplung überwunden: Der Rekorder, der im intimen Zusammensein nicht funktionierte, darf nun über die Lautsprecheranlage des Münsteraner Bahnhofs »Dancing Queen« spielen.

Je verrückter etwas ist in einem Robert-Bramkamp-Film, desto sicherer kann man sein, dass es der Wirklichkeit entnommen ist; dagegen wirken die Spielteile in seinen Essayfilmen überwältigend vernünftig. Oder es steigt eben ein alter Gott aus dem Wasser, wie in »Der Bootgott vom Seesportclub« (2006), und überträgt den Menschen hundert neue Fähigkeiten. Dass ein straffes, sich selbst kannibalisierendes System wie der Verein, die Kunst, die Therapieszene, die Ökonomie, der Raketenbau angestoßen werden können, um schöpferische und destruktive Potenziale freizusetzen, ist ohne einen transzendentalen Schlenker nicht zu haben. So ist eben auch ein Bootgott vielleicht das vernünftigste Wesen der Welt. Oder es müssen Filme da weiterdenken, wo das Textdenken an seine Grenzen stößt.

»Art Girls« ist seit dem 9. April in einigen deutschen Kinos zu sehen

32 Videolectures: »Innovatives Filme Machen«

Im Rahmen der Hamburg Open Online University (HOOU) präsentiert Prof. Robert Bramkamp praxisnahe Videovorträge in einem mehrteiligen Digitalprojekt. Es geht um Erzähltechniken, Textsorten beim Filmemachen, Animation, Sounddesign, Kunst im Film, Filmpolitik uvm.. Perspektivisch entsteht durch die Kombination der Videolectures, eines Wikis und des Kursbuchs eine Enzyklopädie zu aktuellen Innovationen und Experimenten im weit gefassten Feld des bewegten Bildes, die über den konkreten Bezug zur HFBK Hamburg hinaus filmpolitische Impulse setzen will.

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