Ein Bild von einer Frau - Ist die echt?
Independentfilmer lieben sie; gerade erst hat sie Spike Jonzes Her mit ihrer rauchigen Stimme verzaubert. Aber Scarlett Johansson setzt sich auch als Superheldin im Marvel-Universum durch. Georg Seeßlen über eine Schauspielerin, die sich nicht festlegen lässt
Scarlett Johansson als eine grandiose, gar eine wandlungsfähige Schauspielerin zu bezeichnen, wäre wohl ein wenig übertrieben. Was sie auf der Leinwand zeigt und vorstellt, speist sich aus anderen Quellen. Es ist die Gegenwart eines Problems. Eines, das nicht so schnell zu erkennen ist, geschweige denn zu lösen. Es ist ein Bruch in einer Biografie, ein Aufbruch oder eine Rückkehr; es ist ein Widerspruch zwischen Bild und Wesen.
Mit einem Namen, den die filmverrückten Eltern nach der Heldin aus Vom Winde verweht wählten, mit einer einigermaßen bewegten Familiengeschichte zwischen Dänemark, New York und Los Angeles und mit einem Großvater, der sich als Kunstkenner und Drehbuchautor einen Namen gemacht hatte, scheint für die 1984 in New York geborene Scarlett Johansson der Weg in die Traumfabrik vorgezeichnet. Sie erfüllt vor allem den Traum ihrer Mutter, die ihre Karriere als Managerin, als Agentin und schließlich auch als Produzentin ihrer Filme begleitet. Und sie erfüllt ihn, paradox genug, hauptsächlich in Filmen, die von einem rebellischen Teenager handeln, der sich gegen die Mutter auflehnt.
Scarlett Johansson also begann ihre Karriere im Kindesalter. Aber das Erwachsenwerden bedeutete, anders als bei Kinderstars üblich, keinen Bruch in der beruflichen Laufbahn; das Erwachsenwerden war Thema ihrer Filme. In den besseren spielte sie nichts anderes als die Suche eines Mädchens aus einem problematischen Elternhaus nach einem Platz in der Gesellschaft. In ihren Kinderrollen gibt es kaum Idyllen. Stattdessen sieht man es durch ihre Augen: Da stimmt etwas nicht.
Sie muss hinaus aus einer Familie, die Gefängnis und Langeweile ist, um irgendwann zu werden, was die schwierigste Rolle dieser Zeit ist: eine Frau, jung, weiblich, weiß, bürgerlich. Dieses Rollenfach ist auf den ersten Blick weder besonders popaffin, noch besonders kinematographisch. Nicht einmal eine offensive Sexiness bewahrt diesen Part vor der Langeweile. Es geht also um die Revolte innerhalb der Rolle, und den Grund dieser Revolte legte Scarlett Johansson schon in einigen ihrer Kinder-Auftritte. Johansson hat keine soziale Aufstiegsgeschichte, sie ist kein »armes kleines reiches Mädchen«, keine Emanzipationslegende – sie stammt aus dem erfolgreichen weißen Mittelstand. Aber der ist voller Fallen und Widersprüche. Es ist das Unglück ihrer Generation: etwas vom »verwöhnten« Kind ist schon in ihr, aber auch etwas Autistisches, ein Eingesperrtes, das befreit werden will.
Scarlett Johansson besuchte die Professional Children’s School und, im Alter zwischen acht und elf Jahren, das Lee Strasberg Theatre Insitute for Young People – sie darf für sich in Anspruch nehmen, so ziemlich die jüngste Method-Schauspielerin der Welt gewesen zu sein. 1993 trat sie in einem Sketch in der »Late Night with Conan O’Brien« auf, danach folgten Stücke an Off-Broadway-Bühnen und schließlich die erste Rolle in einem Film: North von Rob Reiner (1994). Johansson hat da schon ihren sozialen Ort in der Filmfantasie: die dysfunktionale bürgerliche Kleinfamilie.
Es gibt keine wirkliche Jugend in der Scarlett-Johansson-Welt. Im Pferdeflüsterer gibt es eine Szene, in der Redford Grace auffordert, einen Pick-up zu fahren. Sie antwortet, sie sei dafür noch zu klein, und Redford grinst sie an und sagt: »Man kann nie früh genug anfangen.« Was umso zweideutiger wirkt, bedenkt man, dass Redford bei den üblichen Promotion-Terminen bemerkte: »Sie ist 13 und benimmt sich wie 30.« Dennoch geht es dabei nicht um Sex, sondern vielmehr darum, dass dieses Mädchen nicht mehr in der herkömmlichen Differenz von Kind und Erwachsensein leben kann.
In allen diesen Filmen geht es auch um Prozesse der Krankheit und der Genesung. Die »natürliche« Familie kann sie weder bewahren noch erziehen, daher muss das Scarlett-Johansson-Mädchen selbst eine Familie bilden und auch diese wieder verlassen. Es sind Märchen der weiblichen Initiation, die sich der Ikonografie von der Disney- zur Barbiefizierung entziehen. Und so wurde Scarlett Johansson zu einem Gegenbild der Lindsay Lohans und Justin Biebers, die sich aus der Hölle der Niedlichkeit nur durch einen noch tieferen Absturz in die Vulgarität retten konnten. Johansson bot das Bild eines mehr oder weniger gelingenden »growing up in public«.
Die beiden Filme, mit denen sie als Schauspielerin erst recht in den Fokus trat, bewegen sich jenseits dieses Transitraums vom Mädchen zur Frau, aber der Kokon ist noch spürbar. In Sofia Coppolas Lost in Translation (2003) spielt sie die junge, alleingelassene Ehefrau eines amerikanischen Boulevardfotografen in Tokio. Sie hat ein Philosophiestudium hinter sich, mit dem sie nichts anderes anfangen kann, als, nun eben, manchmal nachzudenken. Und sie begegnet in der Fremde einem alternden Schauspieler (Bill Murray), der sich für eine Whisky-Werbung anheuern ließ. Sie teilen ein wenig von ihrer Einsamkeit, dann trennen sie sich wieder. Die Beziehung zwischen dem jungen, neugierigen Mädchen und dem älteren Mann ist so sehr wiederkehrendes Element wie die Rebellion gegen die bürgerliche Mutter.
Der zweite dieser Filme, Das Mädchen mit dem Perlenohrring, ebenfalls 2003 erschienen, erzählt im historischen Kostüm eine ganz ähnliche Geschichte: Da ist sie die Magd Griet, die im Haus des Malers Vermeer aufgenommen wird und dem Künstler auch als Modell dient. Doch neben der erotischen Komplikation, die das mit sich bringt und die am Ende dazu führt, dass die eifersüchtige Ehefrau (eine böse Mutter, schon wieder) dafür sorgt, dass sie verjagt wird, passiert da etwas ganz anderes. Diese junge Frau beginnt, etwas von der Malerei zu verstehen. Sie beginnt, wie es schon in Lost in Translation angedeutet ist, eine – männliche – Ordnung der Bilder infrage zu stellen.
Der Film spielt sich im Gesicht von Griet/Scarlett ab, ein Kampf zwischen Bild und Blick. Und wieder siegt die Vernunft; weder die böse Aschenputtel-Geschichte – die mit dem lüsternen alten Auftraggeber des Bildes – noch die romantische – die mit dem Künstler – funktioniert. Was aber funktioniert: Johansson, fotografiert von Annie Leibowitz als Aschenputtel für eine Disneyland-Werbung. Johansson spielt nicht die Rolle, sie spielt immer schon das Bild. Andy Warhol hätte sie wahrscheinlich geliebt.
The Man Who Wasn’t There (2001) von den Coen-Brüdern ist in einer unbestimmten Vergangenheit angesiedelt, und nur hier kann Johansson eine klassische jugendliche Femme-fatale-Rolle spielen: Birdy, die auf dem Klavier Beethoven spielt und die Fantasie des schweigsamen Friseurs entflammt. Das hat etwas sehr Stimmiges.
Und trotzdem lässt sich der Widerspruch zwischen Bild und Wesen nicht erledigen. Auf den ersten Blick ist es fast komisch anzusehen, wie weit sie in The Man Who Wasn’t There von richtigem Klavierspielen entfernt ist, wie achtsam-ungeschickt sie in Das Mädchen mit dem Perlenohrring mit dem Putzgerät umgeht. Und in der (doofen) Teenagergeschichte The Perfect Score, wieder einmal als rebellische Girlie-Tochter in einer Millionärsfamilie, stimmt nicht einmal die Frisur, geschweige denn die Sprache. Johansson ist keine psychologisch-realistische Schauspielerin, dem Method Acting, das man ihr beizubringen versuchte, hat sie entschieden abgeschworen. Stattdessen ist sie in gewisser Weise ihr eigener Verfremdungseffekt. Ihre Bilder stimmen in einem Zustand des Halb-Verschwindens, sie ist immer schon Pop, bevor sie Drama ist. Und Pop will sie schließlich wieder werden, mit Hilfe der Musik, einer zweiten Karriere, weit entfernt indes von der Dringlichkeit einer Juliette Lewis, die sich auf der Bühne vom Ballast des »jung, weiblich, weiß, bürgerlich« zu befreien versucht.
Noch einmal greift Scarlett Johansson auf die magische Biografie zurück in Lovesong für Bobby Long (2004), einem Film, der ohne ihren Einsatz und ihren Starappeal wohl nicht zustande gekommen wäre. Wieder ist sie eine Teenagerverweigerin (Pursy), die vom Tod ihrer Mutter, einer Jazzsängerin in New Orleans, erfährt. Beim Begräbnis lernt sie in ihrem Elternhaus den ehemaligen Literaturprofessor Bobby Long und seinen Schützling Lawson kennen. Die drei müssen eine Zeit lang miteinander leben, das Mädchen und zwei anfänglich ziemlich abstoßende Männer. Aber dann akzeptiert sie diese bizarre Familie, angeregt durch die Lektüre von Carson McCullers’ »Das Herz ist ein einsamer Jäger« (wie überhaupt immer wieder Kunst und Literatur und gelegentlich Pop dem alleingelassenen weißen, bürgerlichen Mädchen besser helfen als wirkliche Menschen). Und wieder folgen die drei eher ihren Träumen als der Realität; die beiden Männer leben gleichsam in der Literatur, und Pursy bringt zugleich Leben in diese Texte, wie sie Texte in ihr Leben aufnimmt. Und während Pursy sich der Lebensgeschichte ihrer Mutter nähert, bereitet sie sich auch zu einem Sprung zurück in die reale Welt vor. Der Rücksturz in die Wirklichkeit findet immer außerhalb der Leinwand statt. Wenn überhaupt.
In den Filmen, die Scarlett Johansson mit Woody Allen gedreht hat, bleibt sie reine Erscheinung, auch im Mittelpunkt einer moralischen Tragödie wie Match Point (2005). Johansson ist eine weibliche Kunstfigur im Blick älterer Männer, erblickt im Augenblick des Verschwindens und des Erscheinens, sie wird durch die Kunst noch einmal geboren, jenseits der »Lolita«-Mythologie, aber sie ist zugleich ein Rollenmodell für einen Umgang mit dem eigenen Bild jenseits des Postfeminismus. Sie nimmt diverse erotische Modelle an, ohne sie zu strapazieren; sie ist Zusammenfassung und Abstraktion der Leinwandblondine von Jean Harlow über Brigitte Bardot bis Madonna. Nicht einmal Doris Day ist gänzlich fern, die Frau, die ihre Sexualität verwaltet wie eine Heilige der Angestelltenkultur. Daneben ist Johansson Model für Louis Vuitton und Calvin Klein. Ein Material Girl.
In der Komödie Reine Chefsache von Paul Weitz (2004) sagt Johansson einmal, da ist sie wieder die Tochter aus gutem Hause: »Ich hab mich immer für Geschichten interessiert und hab mich in das Leben anderer Leute geflüchtet. Wahrscheinlich weil ich meines immer so langweilig fand.« Diesen Satz hätte sie in der Hälfte ihrer Filme irgendwann sagen können. Mit Reine Chefsache beginnt schon eine Deutung der Leinwandpersona; Johansson ist zugleich »the sexiest woman alive« (»Esquire«) und eine Frau ohne Eigenschaften, ein weiblicher Zelig vielleicht, jemand, der unterwegs ist zwischen einem Kunstprodukt und einem Kunstprojekt. Da hat sie auch schon ihre Manierismen zur Gänze entwickelt, das Rotzfreche und zugleich tief Melancholische, diese Mischung aus halb weggeträumt und überangestrengt präsent – das macht ihr niemand nach, und es kann einem auch auf die Nerven gehen.
Dabei entschwindet es schon ins Fantastische, immer mehr. In Michael Bays Die Insel (2005) ist sie ein Klon, der menschlich werden und küssen will, sie darf endlich rennen, schlagen, kicken, schießen, fallen und gleich wieder aufstehn, wie es sich für einen Actionfilm gehört. Und in einem ihrer jüngeren Filme, Under the Skin (2013) von Jonathan Glazer, ist Johansson ein Trugbild, das die Aliens für die Menschen projizieren. Sie fallen darauf herein, natürlich. Wie in Spike Jonzes aktuellem Film Her ja schon ihre Stimme reicht, was wiederum eine ziemlich präzise Pointe ist.
Ansonsten passt Scarlett Johansson mittlerweile perfekt in den Kosmos der Comicverfilmungen. Mehr noch: Sie ist eine perfekte menschliche Comicfigur geworden. Reine Oberfläche. Und deswegen ist ihre Darstellung von Janet Leigh bei den Dreharbeiten zu Psycho in Hitchcock (2012) auch keine biografische Abbildung, sondern eine ikonografische Dekonstruktion. Irgendwann unternahm Johansson einen weiteren Schritt hin zur Verwandlung in eine Popikone: Sie versuchte, ein Musikstar zu werden, ausgerechnet mit Songs von Tom Waits. Und während die Schauspielerin offensichtlich endgültig im Mainstream angekommen ist, betont die Sängerin Johansson ihre Nähe zum »Independent«, jedenfalls in der Form des leicht angerauten Materials von Waits oder den Klangspielen der Band MGMT. Auch in dieser Musik ist Scarlett Johansson am ehesten eine »Erscheinung«; die Musik machen doch eher wieder die anderen, die älteren Männer.
In Frankreich ist im letzten Jahr ein Roman von Grégoire Delacourt erschienen – auf Deutsch »Im ersten Augenblick« –, in dem Scarlett Johansson als genau das fungiert: eine Erscheinung, ein perfektes Bild, dem ein junger Mann vollkommen verfällt. Johansson versuchte vergeblich, diesen Roman verbieten zu lassen. Aber vielleicht ist das auch nur ein publizistischer Vorbereitungscoup auf die nächste Rolle ihres Lebens. Scarlett Johansson spielt Scarlett Johansson. Oder umgekehrt.
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