Den Corona-Liebesfilm gibt es längst
»Pushing Daisies« (Serie, 2007-2009). © ABC
Unsere "steile These" des Monats November
Auch schon zusammengezuckt, wenn sich im Film zwei Menschen zu nahe kommen – ohne Maske, im ungelüfteten Club? Die erste US-Serie über Liebe in Zeiten von Social Distancing ist im Sommer erschienen, und überall berichten Schauspieler von erschwerten Drehs. Müssen wir künftig auf leidenschaftliche Küsse und heißen Sex – sagen wir: wie die queere Orgie in »Sense8« – verzichten? Oder mit Disclaimern leben? Wir versichern, dass alle Beteiligten getestet sind und der feuchte Schimmer auf der Haut vom Desinfektionsmittel . . . uh.
Vielleicht ist es kein Trost, aber man könnte sich vor Augen führen, dass das Kino immer ein züchtiges Unternehmen gewesen ist: Beziehungsanbahnung und sogar Ehealltag ohne Körperkontakt waren in seiner 125-jährigen Geschichte eher die Regel als die Ausnahme. Schon vor der Einführung des Production Codes verstanden Hollywoodautoren sich darauf, erotisches Prickeln qua Dialog zu erzeugen. Stars wie Mae West oder später Lana Turner konnten ihren Sexappeal praktisch quer durch den Raum projizieren: »it's airborne«. In den 90ern, da hatte das HI-Virus eine kurze Ära sexueller Freiheit brutal beendet, isolierte sich die Romcom-Heldin Meg Ryan verschnupft am Computer – »E-Mail für Dich« –, und »Ghost« beförderte das Sexidol Patrick Swayze ins Jenseits. Eine regelrechte Kampagne fürs Social Distancing waren die Literaturverfilmungen der Merchant-Ivory-Kompanie: ein Seufzen hier, ein Wimpernschlag da mussten genügen. Solche Romanzen werden immer noch gedreht: Ich wette, mit minimalen Kürzungen wären »Call Me By Your Name« oder »Porträt einer jungen Frau in Flammen« absolut corona-proof. Die schönste vorweggenommene Corona-Lovestory ist aber die 2009 gecancelte Serie »Pushing Daisies«. Da hat ein magisch begabter Bäcker seine ermordete Jugendfreundin mit einem Fingerstups wiedererweckt. Der Haken ist: Eine zweite Berührung würde sie für immer in den Hades schicken. Das ist so bittersüß, wie es sich für eine große Liebe gehört. Und der Erfindungsreichtum, den die beiden im Zusammenleben entwickeln, hat eine ausgesprochen praktische Komponente. Reich mir die Frischhaltefolie, Baby!
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