Kritik zu Chuck Norris und der Kommunismus
Es war nicht Gorbatschow, es war die Videokassette: Die Rumänin Ilinca Calugareanu erinnert in ihrem Dokumentarfilm an die Kultur des heimlichen Sichtens der ins Land geschmuggelten Westfilme und ihren Einfluss auf die Ereignisse von '89
Zum Untergang des real existierenden Sozialismus gibt es verschiedene Theorien. Die einen führen Billy Joels »Glasnost«-Tour 1987 an, die die Massen für die Popkultur und implizit die »Freiheit des Westens« begeistert habe, die anderen beschwören die Mauern niederreißende Macht von Kaomas »Lambada«-Song, der 1989 tsunamigleich über den europäischen Kontinent schwappte. Und eine dritte Theorie verweist auf Chuck Norris, den Mann, der den Tod nicht überlistet, sondern völlig fair gegen ihn gewinnt. Oder besser gesagt: auf seine Filme. Oder noch besser gesagt: auf die Videokassetten mit Chuck-Norris- und anderen Filmen, die ihren Weg hinter den Eisernen Vorhang fanden, dort mehr oder weniger heimlich gesichtet wurden und langsam, aber stetig das sozialistische Bewusstsein untergruben.
Dass in dieser Theorie mehr steckt als ein Witz, das belegt die Rumänin Ilinca Calugareanu mit ihrem Dokumentarfilm »Chuck Norris und der Kommunismus« wunderbar anschaulich. Sozusagen in Guido-Knopp-Manier, vor neutralen, abgedunkelten Räumen, lässt sie Zeitzeugen ihre Erfahrungen mit der Videountergrundkultur schildern und inszeniert das Geschehen gleichzeitig in der behäbigen Technik des Reenactments nach. Die Menschen erzählen nicht nur von den Filmen, die sie gesehen haben, sondern vor allem von dem, was sie für sie bedeuteten: die Möglichkeit, sich nach Paris oder New York zu fantasieren, während der eigene Staat einen nicht ausreisen ließ. Oder auch nur das Warenangebot und die Automarken des Westens zu studieren. Angeregt von »Rocky« nahm einer das morgendliche Lauftraining durch Bukarest auf. Und Chuck Norris mit seiner schier unmöglichen Widerstandskraft ließ von eigener Stärke träumen.
Besonders spannend wird es in »Chuck Norris und der Kommunismus«, wenn die Menschen von ihrem Verhältnis zu Irina erzählen. Die einen imaginierten sie als heiße Blondine, die anderen als seriöse Dunkelhaarige; alle kannten nur ihre Stimme. Irina Nistor war die Frau, die die englischen Filme im Dolmetschermodus ins Rumänische übersetzte und damit den Originalton mit ihrem ganz eigenen Timbre überlagerte. Es habe noch einen anderen Übersetzer gegeben, aber »ich mochte ihn nicht«, spricht ein Zeuge aus, was viele empfanden. Nur mit Nistor seien die Filme »echt« gewesen. Insgesamt hat sie an die 3000 Filme eingesprochen. Es ist ein Coup des Films, dass die Regisseurin Nistor vor ihre Kamera bekam und sie selbst erzählen lässt.
Eine verpasste Chance stellt dagegen die Begegnung mit Timur Zamfir dar, dem Mann, der für den Schmuggel und die Vervielfältigung der Kassetten verantwortlich war – und ein großes Geschäft damit machte. Calugareanu spricht zwar dessen unübersichtliche Verstrickung mit dem Geheimdienst an, geht über das Businessmodell dieses »Piraten« aber allzu schnell hinweg.
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