Kritik zu Der Dorflehrer
Das Land als Anti-Idylle der unkonventionellen Liebe: Der tschechische Regisseur Bohdan Sláma (»Wilde Bienen«, »Die Jahreszeit des Glücks«) schickt einen nichtbekennenden Homosexuellen aufs Dorf und lässt Außenseiter zueinander finden
Warum tut er sich das an? Petr (Pavel Liska) quittiert seinen Job an einem Prager Gymnasium, um eine Stelle als Dorflehrer anzunehmen. Er landet an einer Schule, wo selbst der Direktor ein Bildungsnihilist ist. »Was sind Sie?«, fragt er den jungen Pädagogen mit der Intellektuellen-Brille – »ein Idealist?« Mehr als ein halbes Jahr gibt er dem neuen Kollegen nicht.
Bohdan Slámas »Dorflehrer« ist ein Rätsel für seine Umwelt. Pavel Liska gibt gewissermaßen einem tiefen Seufzer menschliche Gestalt. Petr ist ein wortkarger Melancholiker, den Metropolenmüdigkeit oder eine unglückliche Liebe ins dörfliche Milieu geführt haben mag. Ihn trifft das Landleben mit voller Wucht, rauchgeschwängerte Kneipe, Bierdunst und Kollektivgesang inklusive.
»Der Dorflehrer« ist ein Werk der gedämpften Töne und der langen Einstellungen: erfüllt von subtiler Spannung, zarter Komik und leiser Verzweiflung. Regisseur und Drehbuchautor Sláma nimmt sich Zeit, erzählt Petrs Geschichte in gemächlichem Tempo, zunächst scheinbar mit offenem Ende. Der Dorflehrer vermittelt seinen Schülern, dass sie »etwas über die Natur lernen« werden, und macht sie mit den feinen Methoden gymnasialer Pädagogik bekannt. Als er die patente, allein mit ihrem Sohn (Ladislav Sedivy) lebende Bäuerin Marie (Zuzana Bydzovská) kennenlernt, nimmt der Film eine ins Konventionelle zielende Richtung. Intellektualität und Erdverbundenheit werden sich vereinen. Denkt man. Aber es kommt ganz anders.
Sláma erzählt eine konfliktintensive Geschichte von Liebe, die nicht erwidert wird, und von Neigungen, die ohne Erfüllung bleiben. Marie prallt am homosexuellen Petr ab. Der schweigt sich über seine Orientierung aus, bis er eines Nachts den Sohn der Bäuerin physisch bedrängt. Womit das (Gefühls-) Chaos perfekt ist.
Sláma denkt in Bildern, seine Filmsprache ist poetisch. Es ist wunderbar anzusehen, wenn die Kamera sich Petr und Marie nähert, dann wieder auf Distanz zu den Figuren geht, in wenigen Augenblicken ihre Beziehung skizziert. In einer der schönsten Szenen des Films konfrontiert Petr seine resolute Übermutter (Zuzana Kronerová) mit der Erkenntnis: »Ich bin homosexuell, Mami.« Das ist hochemotional und komisch zugleich. Eingebunden sind die Gefühle in diesem Film in eine erhaben auftretende Natur. »Ich wollte die schönsten Naturbilder schaffen, um sie mit der tragischen Situation der Charaktere zu kontrastieren«, sagt Sláma. Er lässt seinen Dorflehrer über Schneckenhäuser (Coming-out!), über Bienen und ihre Sexualität sprechen. In jeder naturwissenschaftlichen Erläuterung kann man ein Gleichnis entdecken, die Natur hält den Menschen den Spiegel vor. Und wir lernen: »Jeder braucht jemanden.«
Pavel Liska mag noch so traurig dreinschauen, er ist das Zentrum eines zutiefst optimistischen, lebenszugewandten Films. Der verliert zwar im zweiten Teil etwas an Dringlichkeit, aber wartet mit einem starken Finale auf. Die schwierige Geburt eines Kalbes ist Vorbote des Happy Ends: durch Schmerzen zum Glück.
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