Kritik zu Zum Vergleich

© Arsenal Distribution

2009
Original-Titel: 
Zum Vergleich
Filmstart in Deutschland: 
03.09.2009
L: 
61 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Harun Farocki fordert in seinem Film zu einem ungewöhnlichen Vergleich auf: die regionalen Unterschiede zu erkennen, unter denen auf der Welt Ziegel hergestellt werden, das älteste künstliche Bauelement der Menschheitsgeschichte

Bewertung: 4
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Es sind oft die schönsten Filme, die aus der Aufmerksamkeit für die einfachsten Dinge entstehen. Ziegelsteine zum Beispiel, laut Wikipedia das älteste künstliche Bauelement und sicherlich das elementarste. Wie so ein Stein gemacht wird und dann aus ihm ein Haus entsteht: langsam oder schneller, gemeinschaftlich oder vereinzelt, simpel oder hochtechnisiert. Am ersten Ort des Films – der Baustelle einer Krankenstation in Burkina Faso – wird das Wasser von Frauen und Kindern in Eimern herangetragen, der Lehm für jeden Stein (von den Männern) mit den Händen in eine Form gekratzt und später unter reger Anteilnahme der Dorfgemeinschaft an seinen Platz gebracht.

In Indien entsteht aus monotonen Arbeitsabläufen an Maschinen aus den dreißiger Jahren ein Hochhaus. Und in Deutschland produzieren sich die Steine unter stummer Aufsicht eines Vorarbeiters scheinbar von selbst. Harun Farockis Besuche bei Ziegelbauern in aller Welt sind auch eine Zeitreise durch die Geschichte der Produktionsweisen vom luftgetrockneten Lehmquader bis zur High- Tech-Postmoderne, wo ein Schweizer Computer millimetergenau scheinbar unregelmäßige Mauerreliefs generiert.

Farocki, der sich seit seinem ersten Film 1968 in unterschiedlichsten filmischen Formen in der Analyse sozialer Machtsysteme übt, ist wie viele andere »experimentelle« Filmemacher zurzeit hauptsächlich im Kunstbereich tätig. Auch Zum Vergleich, aus einer Installation zur Untersuchung von Arbeitsprozessen entstanden, ist Produkt künstlerischer Mehrfachverwertung. Die strikt lineare Anordnung des Materials im Film führt erstmal zur formalen und inhaltlichen Reduktion, die allerdings durch die Möglichkeit zur intensiveren (und entspannten) Wahrnehmung austariert wird: So funktioniert der Film sowohl als kommentierte Materialsammlung, deren Linie im Groben der zunehmenden Technisierung der Tätigkeiten folgt, wie auch als einstündige Meditation über die Vielfalt menschlicher Arbeitsformen. Erklärungen gibt es nur in knappen Texttafeln zwischen den meist halbtotalen Einstellungen, Erläuterungen zum ökonomisch-sozialen Kontext sind auf wenige Stellen begrenzt, auch die im Film Sprechenden gehen unübersetzt in den Originalton ein.

Also muss und darf das Publikum selbst den Blick schweifen lassen und sich einen Reim auf das Gesehene machen, wobei die Wahrnehmung wesentlich durchs jeweilige Interesse gesteuert sein dürfte. Die Filmkritikerin bemerkte, wie die Frauen, die offensichtlich die körperliche Schwerarbeit verrichten, mit zunehmender Technisierung aus dem Produktionsablauf verschwinden. Wie die Arbeit leichter wird, sich aber immer mehr aus dem Alltagsleben isoliert. Wie das afrikanische Palaver im Maschinensound versinkt. Doch heute, auch das ist zu sehen im Film, lernen europäische Architekturstudenten von indischen Kuppelbaukonstruktionen für eine ökologische Architektur jenseits von Foster & Jahn. Was nicht zu sehen ist, sondern erst beim Lesen des Abspanns zu erahnen: dass die anfängliche afrikanische Dorfidylle keineswegs alltägliche Realität ist, sondern entstanden in der Ausnahmesituation eines Modellprojekts. Allzu naiv vertrauen sollte man also auch diesen scheinbar absichtslosen Bildern nicht.

 

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