Kritik zu Sturm
Zwischen Gerichtsdrama und Politthriller: In seiner ersten internationalen Produktion widmet sich Hans-Christian Schmid dem Erbe der Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien
Es ist schwer, über »Sturm« zu schreiben und nicht sofort weit auszuholen und auf die Hintergründe einzugehen, auf den Jugoslawienkrieg, die unfassbaren Verbrechen und den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, der in akribischer Arbeit versucht, das Chaos von Vertreibung und Massenmord in juristische Kategorien und unparteiische Urteile zu überführen. Doch dass der Film das Augenmerk so vehement auf sein Thema zwingt, ist vielleicht das beste Indiz für seine Kraft. Die Geschichte, die »Sturm« erzählt, ist fiktional, doch sie steht exemplarisch für so viele Schicksale, die nun als Fälle vor Gericht verhandelt werden.
Wie schwierig die Rekonstruktion eineinhalb Jahrzehnte zurückliegender Ereignisse ist, das zeigt Schmid anhand der Anklage gegen einen fiktiven Befehlshaber der jugoslawischen Volksarmee, Goran Duric. Zu Beginn ist er als ganz normaler Familienvater zu sehen, der mit seinen Kindern am spanischen Strand herumtollt. Doch dann folgt seine Festnahme durch die Polizei. Dieser liebevolle Vater soll ein skrupelloser Mörder sein?
Drei Jahre später: sein Prozess in Den Haag. Anklägerin am Kriegsverbrechertribunal ist die so ehrgeizige wie gewissenhafte Juristin Hannah Maynard. Plötzlich werden Zweifel an der Aussage ihres wichtigsten Zeugen laut. Etwas so scheinbar Marginales wie der Wendekreis eines Busses, mit dem damals Zivilisten deportiert worden sein sollen, droht, die Anklage zu Fall zu bringen. Nachdem eine ganze Delegation nach Bosnien gereist ist, um vor Ort den Sachverhalt zu klären, wird klar, dass der Zeuge gelogen hat. Hannah stellt ihn zur Rede, beschimpft ihn: Mit Lügen verhindere er die gerechte Bestrafung der Täter. Kurze Zeit später nimmt sich der Zeuge das Leben. Auf seiner Beerdigung lernt Hannah seine Schwester Mira kennen, die sie nur schwer dazu bewegen kann, als Zeugin aufzutreten – und sich dadurch sowohl den eigenen Erinnerungen zu stellen als auch in konkrete Gefahr zu bringen, denn der Angeklagte hat mächtige Freunde. Mira wird sogar handgreiflich bedroht, in einer Szene, die auf erschreckende Weise zeigt, wie schnell die Vergangenheit nach der Gegenwart greifen kann.
Es folgt die akribische Suche nach Spuren von dem, was Mira im Krieg erlitten und gesehen hat – Entführung, Vergewaltigung und Mord. Im Keller eines Hotels sehen wir die kriminalistische Spurensicherung bei der Arbeit. Hier greift die Gegenwart nach der Vergangenheit: 15 Jahre nach dem Geschehen soll das Blut an den Wänden wieder sichtbar werden. Doch während Mira sich der Vergangenheit stellt, scheint sich ihr jetziges Leben in den Mühlen des bürokratischen Apparates aufzulösen. »Sturm« inszeniert Mira als Fremdkörper an den Unorten, die für Hannah längst Alltag sind: Besprechungszimmer, Hotelzimmer, Hotellobbys. Ihre Personenschützer könnten auch Gefängniswärter sein.
Das bürokratische Monstrum – denn auch das ist Den Haag –, das für Gerechtigkeit sorgen soll, birgt aber einen noch tieferen Schrecken: Kurz vor der Verhandlung beschließt die oberste Richterschaft einen faulen Kompromiss, der den Prozess gegen Duric schnell beenden soll, um die EU-Beitrittsverhandlungen nicht zu belasten.
Obwohl er Elemente von beidem verwendet, ist »Sturm« weder Gerichtsdrama noch Politthriller, denn Schmid und seinem Drehbuchautor Bernd Lange geht es weniger um Genre als um ihre Geschichte. Sie schaffen ein ganz eigenes, hochkomplexes Geflecht aus Motiven und Ebenen. Das ist sehr spannend, auch ziemlich anstrengend, und es zeitigt auch ein paar Schwächen, etwa ein paar überdeutlich erklärende Dialoge. Auch die unruhige Handkamera von Bogumil Godfrejow – die etwa bei »Requiem« hervorragend funktionierte – zerstreut in einigen Momenten die Konzentration. Doch wie viele Fakten, Ebenen und Motive »Sturm« in 105 Minuten vollkommen schlüssig verwebt, wie er zugleich skeptisch und engagiert erzählt, das ist schlicht bewundernswert. Schmid beweist damit einmal mehr sein Fingerspitzengefühl und seine Präzision im Umgang mit Themen, die leicht zu sentimentalen bis verlogenen Simplifizierungen verführen könnten.
Für die Integrität der Herangehensweise spricht auch der Verzicht auf jegliche Rückblenden. Um die Nachwirkungen des Grauens zu zeigen, greift er nicht zu wohlfeilem Reenactment. Die Narben der Geschichte macht er an der Gegenwart sichtbar, auch dank seiner hervorragenden Schauspieler – allen voran Kerry Fox (»Intimacy«) als Hannah und Anamaria Marinca (»4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage«) als Mira. Für eine subtile Grundierung sorgt dabei die Musik von Notwist.
Etwas Hoffnung, dass die beiden kämpferischen Frauen der Gerechtigkeit wenigstens ein Stück näher kommen, lässt »Sturm« am Ende doch. Aber das verwässert nicht die Mahnung des Films: Für 2010 haben die Vereinten Nationen das Ende aller Verfahren über das ehemalige Jugoslawien beschlossen; viele Verbrechen werden dadurch ungesühnt bleiben. Gerechtigkeit funktioniert nicht nach der Stoppuhr.
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