Kritik zu Mediterranea

Clip, OmU © DCM

Zwei Freunde aus Burkina Faso fliehen über das Mittelmeer nach Italien, wo sie sich als Hilfsarbeiter durchschlagen – und Opfer rassistischer Übergriffe werden 

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Fast täglich berichten Nachrichten von gekenterten Flüchtlingsbooten und Hunderten von Menschen, die dabei im Mittelmeer ertrinken. Diese abstrakten Zahlen verknüpft Jonas Carpignano mit konkreten Schicksalen. Sein aufwühlendes Drama erzählt die Geschichte des Afrikaners Ayiva (Koudous Seihon), der seine siebenjährige Tochter in Burkina Faso zurücklässt, um gemeinsam mit seinem besten Freund Abas (Alassane Sy) nach Europa zu fliehen. Schmucklose Bilder ohne Exposition konfrontieren den Zuschauer mit der beschwerlichen Reise auf überfüllten LKWs und dem Marsch durch die Wüste, in der die Flüchtenden von marodierenden Banden ausgeraubt und teilweise massakriert werden. Horrorbilder deuten die Überfahrt übers Mittelmeer in einem seeuntüchtigen Motorboot ohne Steuermann an. Die Kerngeschichte spielt in einem süditalienischen Aufnahmelager, aus dem die Schiffbrüchigen wieder abgeschoben werden, falls sie binnen drei Monaten keine Papiere und eine feste Arbeit bekommen.

Als schwarzer Italoamerikaner, der zwischen Rom und New York pendelt, hat Carpignano sich mit der Situation vor Ort sehr vertraut gemacht. Schon sein viel beachteter Kurzfilm »A Chjàna« thematisierte jene blutige Migrantenrevolte im kalabresischen Rosarno, die 2010 ganz Italien schockte. Sein Kinodebüt schildert nun die Vorgeschichte dieses Aufstandes. Indem er den Flüchtlingen den Status von handelnden Subjekten gewährt, die ihr Schicksal – zumindest teilweise – in der Hand haben, verweigert der Film den üblichen Betroffenheitsvoyeurismus. Carpignano erzählt die Geschichte aus der Sicht zweier entgegengesetzter Charaktere: Während Abas angesichts der desolaten Situation den Kopf in den Sand steckt, versucht Ayiva mit Tricks, Ausdauer und Optimismus, das Beste aus seiner Lage zu machen. Ein geklauter MP3-Player verhilft ihm zu einem Geschäft mit einem Kinder-Dealer, worauf es Schritt für Schritt weitergeht. Dank seiner Umsicht gewinnt er während des beschwerlichen Jobs als Ern­tehelfer das Vertrauen des Orangenplantagen-Besitzers, dessen Vorfahren auch Migranten waren. Eine gewisse Durchlässigkeit zwischen Erster und Dritter Welt zeichnet sich ab. Doch der vage Hoffnungsschimmer wird konterkariert durch eine beiläufig geschilderte Eskalation. Ein harmloses Handgemenge führt allmählich zu einer blutigen Straßenschlacht.

Von den desolaten Unterkünften bis hin zum herzlichen Umgang der Migranten untereinander ist das alles unglaublich präzise beobachtet. Die bewegliche Handkamera bleibt dicht an den glaubhaft agierenden Laiendarstellern und gibt der Szenerie eine beklemmende dokumentarische Unmittelbarkeit. Man könnte an italienischen »Neo-Neorealismus« denken, doch »Mediterranea« ist ein unsentimentaler Film, der trotz seiner aufwühlenden Geschichte nie auf die Tränendrüse drückt. Stilistisch fühlt man sich eher an die raue Poesie von »Beasts of the Southern Wild« erinnert, bei dem Carpignano als Second Unit Director mitarbeitete. Mit »Mediterranea« gelingt dem jungen Regisseur ein relevanter Film, dessen Vielschichtigkeit sich erst allmählich erschließt.

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