Kritik zu Avatar – Aufbruch nach Pandora
Mehr als zehn Jahre nach »Titanic« hat James Cameron sich als Regisseur zurückgemeldet. Mit einer wilden Science-Fiction-Show, die das Prinzip Blockbuster intelligent auf die Spitze treibt
Mit »Avatar« starteten »Film und Videospiel in ein gemeinsames Zeitalter«, hieß es im »KulturSpiegel«. Ach, was. Natürlich ist das Comeback James Camerons eine Gamefantasie des Kinos, die mittels digitaler Technik und – darauf legen die Ankündigungen Wert – in wechselseitiger Abhängigkeit zum gleichnamigen Spiel entstanden ist. Nur läuft die Engführung von Game und Film spätestens seit 1993 auf Hochtouren, als das Branchenblatt "Variety" bemerkte, »interaktive Unterhaltung« sei »der größte Knüller der Stadt«. Knapp zwei Jahre darauf entwickelte Cameron die erste Idee zu »Avatar«.
Die gute Nachricht: »Avatar« ist doch klüger und angenehmer als der depperte Hype um eine Kollaboration, die längst Geschichte ist. Sein Selbstbewusstsein begegnet uns schon darin, wie dezent die Dimensionalität dieses 3-D-Films eingesetzt ist. 3-D dient hier weniger spektakulären Einzeleffekten als vielmehr einer Konturierung und Vertiefung des Raumes, um den es ja sowohl in Games als auch im Kino geht. Der Raum heißt Pandora – ein ferner Mond, dem wir Menschen ein wertvolles Mineral entreißen wollen. Hier, in einer Mischung aus Urwald, Pocahontas-Country, Unterwasserwelt, Jurassic Park und einem Anime von Hayao Miyazaki, leben die Na'vi – eine Art blauhäutige Indianeraristokratie, vollkommen im Einklang mit der spektakulären Flora, Fauna und Spirtualität. Weil Menschen dort nicht atmen können (und weil Games für sie so wichtig sind) ist das Mittel, dank dessen der teilgelähmte Ex-Marine Jake (Sam Worthington) sich auf Pandora bewegen kann, ein sehr realer Avatar: Ein künstlicher Na'vi (Navigation ist schließlich ein Schlüsselprinzip in Games), den Jake mit seinem Geist belebt, um Land und Leute zu erkunden. Ausgesandt von einem Konzern, um die Vertreibung oder Ermordung der Na'vi vorzubereiten, verliebt sich dieser versehrte John Smith in seine neue Existenz und in die Häuptlingstochter Neytiri (Zoë Saldana). Am Ende entscheidet er sich, klar, für Pandora.
Es macht keinen Sinn, die Abenteuer Jakes auf seinem Weg aufzuzählen, Teil der Na'vi zu werden. Was diesen Film ausmacht, ist auch gar nicht die eine oder andere Sensation, sondern deren systemische Ordnung. Merkwürdig erfüllt sich hier das gar nicht so paradoxe Versprechen eines guten Blockbusters: dass in den streng ökonomisch organisierten Filmwerken zugleich eine irre Großzügigkeit herrscht. »Avatar« hat jene verschwenderische Größe, die etwa den engstirnigen und letztlich geizigen Emmerich-Filmen fehlt. Hier herrscht ein mal ins Kitschige, mal ins Mythische, Religiöse oder Spinnerte, mal ins Geisteswissenschaftliche, (Film-)Historische, Kindische und Politische explodierender Reichtum an Attraktionen und an Ideen, die uns dann auf ganz unterschiedlichen Ebenen dessen erreichen, was man (bis wir ein besseres Wort finden) die Erzählung nennen kann. Viele Cameron-Blockbuster, nicht zuletzt »The Abyss«, »Aliens« und »Terminator 2«, hatten diese Qualität, die »Avatar« nun ins Absurde steigert.
Die jüngst so beliebte Kreuzung digitaler Filmtechnik mit zutiefst technikfeindlichen Geschichten ist darum hier keine Lösung. Während in Emmerichs »10.000 B.C.« oder Zack Snyders »300« der männliche Körper Kern und Maß aller guten Dinge sein muss und der archaische Technikskeptizismus im vollsten Vertrauen auf die digitalen Effekte herausgebrüllt wird, ist der Körper-/Technik-Kampf in »Avatar« komplexer. Das Schlichte und Wahre, zu dem wir mit den Na'vi vordringen, um mit Flugechsen wilde Sturzflüge zu erleben oder schwebende Felsen zu erklimmen, ist hier nicht allein Folge quasiesoterischer Vereinfachung. Vielmehr betreten wir mit Jake das Öko-Fantasialand von Pandora eben nur dank des Avatarprogramms. Zurück zur Natur ist eine Frage der Technologie, oder: Das Game ist die Welt.
Genau dort, weltweit, muss und will »Avatar« funktionieren und vereint darum neben ein paar interessanten Volten zu digitalen Medien vor allem jede Menge Kulturbrocken von überall. Jesus hat unterm Baum der Erkenntnis Sex mit Pocahontas und konvertiert zum Buddhismus, bevor er das Jenseits zum Diesseits erklärt und als Drachenreiter für das totale Gleichgewicht auf einem Mond sorgt, der eigentlich ein großer Datenspeicher ist. Sie finden das gaga? Das kommt dabei heraus, wenn ein James-Cameron-Blockbuster das Gleichgewicht sucht und zum Glück nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner will.
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