Kritik zu Der Räuber
Angelehnt an eine wahre Begebenheit macht Benjamin Heisenberg aus der Geschichte von einem obsessiven österreichischen Bankräuber und Marathonläufer eine spannende Studie über Außenseitertum
»Pumpgun-Ronnie« nannten österreichische Medien in den achtziger Jahren den Bankräuber und Mörder Johann Kastenberger – ein Hinweis auf die bevorzugte Bewaffnung, deren er sich bei seinen zahlreichen Banküberfällen bediente. Nach Verbüßung einer langjährigen Haftstrafe setzte er diese Serie bis zu seiner erneuten Festnahme fort. Mit einem Sprung aus dem Fenster gelang Kastenberger, der auch ein erfolgreicher Marathonläufer war, die Flucht, die im November 1988 schließlich auf der österreichischen Westautobahn endete. Umringt von Polizisten und von einer Kugel getroffen, setzte Kastenberger mit einem Kopfschuss seinem Leben selbst ein Ende.
»Der Räuber« von Benjamin Heisenberg (»Schläfer«, 2005), nach dem gleichnamigen Roman von Martin Prinz, orientiert sich grob an den letzten Stationen von Kastenbergers krimineller Biografie. Aus dem historischen Vorbild wird im Film die Figur Johann Rettenberger (Andreas Lust), ein emotionsloser Einzelgänger, in dessen siebenjähriger Haft das Laufen der einzige Lebensinhalt war. Seine körperliche Fitness überprüft er ständig mittels eines Herzfrequenzmessers. Er wolle in Zukunft nicht mehr im Kreis laufen müssen, sagt Rettenberger zu einem Beamten, und doch beginnt ein neuer Kreislauf. Er überfällt reihenweise Banken, einmal drei an einem Tag, und nutzt seine sportlichen Talente, um der Polizei zu entkommen.
Heisenberg konzipiert die Hauptfigur seiner existenzialistischen Parabel als Archetypus eines asozialen Lebensentwurfs. Rettenberger, der seine Umwelt mit gleichbleibend regungsloser Miene betrachtet, ist unfähig, menschliche Beziehungen auszuhalten. Der wohlmeinende, aber etwas aufdringliche Bewährungshelfer, den Rettenberger mit dem Siegerpokal nach einem Wettlauf erschlägt, wird fast zwangsläufig zum Opfer eines Menschen, der Zuwendung hauptsächlich als Bedrohung empfindet. Die Sucht nach der sprichwörtlichen Einsamkeit des Langstreckenläufers, verbunden mit einem durchaus kapitalistischen Konkurrenzgedanken, der Rettenberger auch die Banküberfälle wie sportliche Wettkämpfe betrachten lässt, ist der Fluchtpunkt seines Lebens – ohne dass ihn Trophäen oder Beute sonderlich interessierten.
Heisenberg verweist im Titel seines Films sicherlich nicht zufällig auf das bekannte Schiller-Vorbild. Doch anders als dem Rebellen Karl Moor ist Rettenberger jegliche gesellschaftliche Motivation für sein Handeln fremd. Seine Vorgehensweise ist geradezu anachronistisch, nicht vergleichbar mit jenen modernen Gangsterfiguren, die wissen, dass sich Kriminalität am besten innerhalb des Systems praktizieren lässt (»Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?«, Brecht), er versteckt sich in einem Erdloch, nicht hinter einem Steuerberater. Doch gerade weil Rettenberger allzu selbstgewiss daran glaubt, seine Autonomie gegen die Welt und deren Regeln behaupten zu können, scheitert er. Dem Perfektionisten, der alles für planbar und kontrollierbar hält, kommt der Zufall in Gestalt seiner früheren Geliebten in die Quere. Erika (Franziska Weisz), ihrerseits einsam und resigniert, nimmt Rettenberger auf und kommt seinem Geheimnis auf die Spur. . .
Man mag Heisenbergs wortkargen Protagonisten als allzu eindimensional und unpsychologisch angelegt kritisieren. Rettenberger, den der Regisseur als »Grenzfigur« verstanden wissen will, wirkt mit seiner Verschlossenheit in der Tat bisweilen wie eine aus dem dramaturgischen Konzept geborene Kunstfigur. Doch aus dieser Konstruktion, dem Kontrast von äußerlichem Gleichmut und sportlicher wie krimineller Besessenheit, bezieht der auch handwerklich sehr gelungene Film seine Wirkung. Heisenberg erzählt die Geschichte distanziert, ohne seine Hauptfigur zu heroisieren, aber mit einer stetig sich steigernden Spannung, die durch den sparsamen Einsatz der Musik – oft kommt sie wie zufällig und unvermittelt aus dem Radio eines gestohlenen Fluchtwagens – unterstützt wird. Bis Rettenbergers Lebens-Lauf sich in einem großen Finale schließt. Und das unterscheidet sich vom Ende des Räubers Johann Kastenberger.
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