Kritik zu Kinshasa Symphony
Der schöne Götterfunke: Martin Baer und Claus Wischmann zeigen die außerordentlichen Umstände, von denen sich ein Symphonieorchester im Kongo nicht abhalten lässt, Beethoven zu spielen
Der alte Bus muss von den Männern mit der Hand durchs Bild geschoben werden. Das ist mühsam, lohnt sich aber schon wegen des verblichenen schilfgrünen »Orchestre Symphonique Kimbanguiste«-Schriftzugs und dem schönen Logo mit Harfe und Violinschlüsseln. Dann geht ein Schwenk über eine von Motorrädern und Fußgängern belebte Straßenkreuzung und einen Kunststoffzaun in ähnlich grüner Farbe, hinter dem sich das genannte Orchester gerade mit dem Gefangenenchor aus Nabucco warmswingt. Auf einem Mast über der Szene versucht Joseph Masunda Lutete derweil, einem alten Scheinwerfer neues Leben einzuhauchen.
Joseph ist Lichttechniker und Bratschist beim einzigen Symphonieorchester Zentralafrikas, das in der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo seine Heimstatt hat. Ein musikalischer Amateur, wie alle der insgesamt zweihundert Musiktreibenden, die sich nach ihrem Arbeitstag auf den mühsamen Weg durch die Stadt machen, um Verdi oder Mozart zum Klingen zu bringen. Dafür werden sie von manchen belächelt. Und für das geplante Konzert zum Unabhängigkeitstag muss mit den Tanzbars um den Aufführungsplatz herum verhandelt werden, doch bitte den Sound etwas herunterzudrehen. Auf dem Programm steht auch Beethovens Neunte, im deutschen Original. Und obwohl einige der Musiker im Werk sogar verborgene afrikanische Rhythmen entdeckt haben, machen die richtige Aussprache von »Götterfunken« und die präzisen Einsätze einige Mühen. Doch das sind kleine Probleme an einem Ort, wo Armut, Kriege und Gewalt die Leben erschüttern.
So wurde Orchesterdirektor Albert Nlandu Matubanza zum Instrumentenbauer, weil viele ihrer Instrumente bei Plünderungen verloren gingen. Kaufen lässt sich fast nichts. Also müssen Bremszüge als Violinsaiten herhalten. Als eine Glocke kaputtging, hat Matubanza auf Schrottplätzen herumgestöbert, bis er eine Autofelge in der richtigen Tonhöhe gefunden hat. Gerade sucht er mit Hilfe einer Pappschablone einen Holzblock für einen Kontrabass.
Martin Baer hatte sich schon bisher filmisch dem Kontinent gewidmet und Claus Wischmann ist der Musikspezialist in einem Team, das seinen Stoff mit sympathischer Energie und rundem ästhetischem Konzept auf die Leinwand bringt. Inhaltlich ist »Kinshasa Symphony« das perfekte Gegenstück zu »Pianomania«, der seine Geschichte um die Suche nach dem perfekten Klang in den hehren Gefilden von Steinway & Co fand. In Kinshasa sind die Klangfarben per se rauher. Doch auch hier gibt es Menschen, die ihre Energien ausgerechnet den Schöpfungen europäischer Tonkünstler widmen. Schöngeistig weichgespült wird dabei nicht: Immer wieder taucht der Film mit einzelnen der Musiker in den von globalen Dominanzverhältnissen geprägten Alltag ein, wo etwa der Cellistin und Omelette-Verkäuferin Josephine durch billige Eierimporte ihr Lebensunterhalt abgewürgt wird. So reibt sich die europäische Kunst auch am afrikanischen Selbstbewusstsein. Und wenn Josephine am Ende die »Ode an die Freude« auf ihrem heiseren Cello kratzt, klingt das auch wie eine Kampfansage an die nördliche.
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