Kritik zu Vergissmichnicht

© Schwarz-Weiss

2010
Original-Titel: 
L'Âge de raison
Filmstart in Deutschland: 
23.12.2010
L: 
89 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Nicht die Träume der Kindheit vergessen! Sonst wird man nicht Prinzessin, sondern muss Atomkraftwerke nach China verkaufen. Yann Samuell erteilt mit Sophie Marceau in der Hauptrolle Lektionen in Lebensphilosophie light

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»Zuerst Schatz vergraben«, »Prinz küssen«, »Nägel, ohne sie krumm zu hauen, einschlagen«. So steht es auf den hübsch ausgemalten Blumenblätter-Merkzetteln der siebenjährigen Marguerite für ihre »Liste der wichtigsten Dinge im Leben«. Macht sich eine Siebenjährige solch eine falsch-kindlich und arg altkug klingende Liste? Marguerite tut es, und nicht nur das. Sie weiß auch, dass sie in 33 Jahren an diese Liste erinnert werden muss. Also hinterlegt sie ihre Die-wichtigsten-Dinge-des-Lebens-Briefe bei einem Notar, der sie ihr zu ihrem 40. Geburtstag überbringen soll. Eine Story-Idee, die irgendwie nett und zugleich mächtig an den Haaren herbeigezogen erscheint. Von Anfang an versprüht »Vergissmichnicht« einen Duft wie aus der »Ach, wie sind Kinder doch poetisch und weise«-Spraydose.

Mit vierzig hat Marguerite (Sophie Marceau) die Erinnerung an ihre Kindheitsträume dringend nötig. Sie ist vernünftig (»L'âge de raison« heißt der Film im Original, ein Titel, der einem Sartre-Roman entnommen ist und mit »Zeit des Vernünftigseins« übersetzt werden könnte), erwachsen und erfolgreich geworden. Als kalt berechnende Topmanagerin verhandelt sie den Verkauf eines Atomkraftwerks nach China. Dabei sollte sie doch besser Brunnen in afrikanischen Wüsten graben, denn das würde mit dem strahlenden Lächeln vieler Kinder belohnt werden.

In jüngster Zeit offenbart das französische Kino (siehe die Filme von Eric-Emmanuel Schmitt) eine Vorliebe für Sinnsuche- und Selbstfindungskitsch, für Lebensweisheiten im Hochglanzkalenderblattformat. Plötzlich erfinden zahlreiche französische Regisseure – nach dem Vorbild der »fabelhaften Amélie« – Heldinnen, die sich auf die Suche nach den Schatzkästchen der Kindheit begeben, und bieten in bunter Verpackung Lebensphilosophie light. Regisseur Yann Samuell, ein versierter Clipregisseur, donnert jede Szene wie einen Werbespot auf: nach plakativen Posen suchend, mit exquisiter Kameraakrobatik aufwartend.

Wie vielen Regisseuren, die durch die Clipschule gegangen sind, fehlt auch Yann Samuell der Atem für die großen narrativen Bögen, das Gespür für die inneren Landschaften, für das charakterliche Relief. Seine Figuren bleiben Schablonen, Ideen-Kleiderständer, ohne die Kraft, Anteilnahme zu erwecken. Selbst dann, wenn die Kindheitserinnerungen ausführlicher ausgegraben werden. Erinnerungen an eine entbehrungsreiche Kindheit: Der Vater verließ die Familie gerade an ihrem siebten Geburtstag, die immer mit Geldsorgen ringende Mutter musste umziehen, der Abschied von ihrer ersten großen Liebe gestaltete sich tragisch ...

Wir verstehen: In Trotzreaktion zu diesen Schicksalsschlägen wurde aus Marguerite eine erfolgsorientierte Karrieristin, und jetzt, an ihrem 40. Geburtstag wird sie, mitten in ihren Verhandlungen mit den Chinesen, durch die Brieferinnerungen zum Gutmenschen. Wenn all das nur wenigstens ordentlich herzergreifend erzählt würde. Aber: Während die Kamera unter Autos hindurchkriecht und über Wolkenkratzern entschwebt, verliert sie Figuren und Erzählung aus dem Blick. Was besonders schade ist hinsichtlich der charmanten Hauptdarstellerin Sophie Marceau.

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