Kritik zu Elly
Eine Frau verschwindet – und bringt damit Erkundungen in Gang, die einen ganzen Freundeskreis zu zerstören drohen. Der Iraner Asghar Farhadi erhielt auf der Berlinale 2009 den Regiepreis
Man sieht hierzulande das Leben im Iran nur selten von dieser Seite: Eine Gruppe fröhlicher, sichtlich gut situierter Paare in ihren 30ern fährt mit Kindern gemeinsam ans Meer. Die Stimmung ist ausgelassen, man scherzt und zieht sich in gleichberechtigter Vertrautheit gegenseitig auf. Kurz bricht Enttäuschung aus, als sich herausstellt, dass das vermeintlich vorbestellte Ferienhaus nicht frei ist. Doch für Sepideh (Golshifteh Farahani) stellt derlei eher eine Herausforderung als ein Problem dar. Sie lässt nicht locker und erfeilscht mit Hilfe einer kleinen Flunkerei – sie behauptet, dass sich unter ihnen zwei frisch Vermählte befänden – bald eine neue Unterkunft, eine heruntergekommene Villa direkt am Strand, in der sich die nun wieder.
Asghar Farhadi baut sein souverän inszeniertes Ensemblestück wie einen Krimi auf, in dem allerdings anstelle eines Detektivs die Beteiligten selbst ermitteln müssen. Was ist eigentlich mit Elly geschehen? Ist sie ertrunken beim Versuch, einem der Kinder, das zu weit rausgeschwommen war, zu Hilfe zu kommen? Oder hat sie schon vorher, beschämt von den Scherzen über den Verkupplungsversuch mit Ahmad, einfach still die Villa verlassen? Und wer ist sie überhaupt? Wer sind ihre Angehörigen? Das Unglück, wenn es denn eines war, lässt vieles in einem anderen Licht erscheinen. Ehen und Freundschaften, die eben noch gleichberechtigt und harmonisch schienen, zeigen auf einmal ihre verdrängten, althergebrachten patriarchalen Prägungen. Sepideh, von deren einfallsreichen Intrigen eben noch alle profitiert haben, sieht sich auf einmal im Zentrum der Anklage. Und was vorher noch eine bloße Anzüglichkeit war, die angebliche Vermählung von Elly und Ahmad, wird nun zur Belastung, gar einem Delikt, das nicht nur Ellys Ehre und Ansehen nachhaltig zu belasten droht, sondern mehr Menschen in Mitleidenschaft zieht als vorher vorgestellt.
Dialoglastig, aber durchgehend spannend zeigt Asghar Farhadis Film die schwierige Gratwanderung der iranischen Mittelklasse zwischen Anpassung und individuellem Lebensentwurf. Wobei er auf jeden alarmistischen Entlarvungsgestus verzichtet. Es kommt ihm nicht darauf an, die einen als Mitläufer, die anderen als tragische Rebellen zu demaskieren. Wer genau hinschaut, kennt am Ende den Iran ein kleines Stück mehr.
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