Kritik zu Mr. Nice
Ein Drogendealer kommt in der Welt und ihren Geheimdiensten herum: Bernard Rose hat die Autobiografie der britischen »Haschschmuggellegende« Howard Marks verfilmt, mit Rhys Ifans in der Hauptrolle
Hätte sein Zimmer in Oxford nicht im Erdgeschoss gelegen und wäre eine Stange des Fenstergitters nicht lose gewesen, dann wäre vielleicht alles ganz anders gekommen. So aber wird es zum Einschlupfloch für nächtliche Besucher, für Heimkehrer nach Beginn der Sperrstunde. Deren Hauptvergnügen: Drogen. Denn die Welt der Swinging Sixties macht auch vor den Toren der altehrwürdigen Universität Oxford nicht Halt. Und so wird der junge Student Howard Marks, aus einem walisischen Dorf und aus einfachen Verhältnissen kommend, »angefixt«. Das ist nur eines der Paradoxe, die Marks' Lebensgeschichte kennzeichnen. Die nächste Stufe in seiner Drogenkarriere ist ebenfalls paradox: Weil er, der nach bestandenem Examen inzwischen als Lehrer arbeitet, den Drogen mittlerweile abgeschworen hat, wird er eines Nachts von einer verzweifelten Frauenstimme aus dem Bett geklingelt. »You’re the only straight person I know« sagt sie – und genau deshalb müsse er ihrem Freund helfen, der wegen Drogenschmuggels gerade vom deutschen Zoll verhaftet wurde. So beginnt jene legendäre Karriere des Drogenschmugglers Howard Marks, die ihn in England zu so etwas wie einer nationalen Berühmtheit machte.
1996 erschien seine Autobiografie »Mr. Nice« in Großbritannien; seit dem vergangenen Jahr liegt sie auch in deutscher Taschenbuchausgabe vor, mit 703 Seiten nicht gerade knapp ausgefallen, aber, klar: Der Mann hat etwas zu erzählen. Seit 1997 tut er das auch auf britischen Bühnen und stellt sein Talent als Alleinunterhalter unter Beweis.
Bernard Rose, der sowohl eher steife Ausstattungsfilme wie »Anna Karenina« und »Ludwig van B.« gemacht hat, wie auch aufregende digitale Werke, allen voran »Ivan’s XTC«, erzählt diese bizarre Biografie eher nüchtern. Natürlich gibt es auch die Visualisierung einiger Drogentrips zu sehen, aber »Mr. Nice« handelt weniger vom Konsum als vom Drogenhandel. Dabei geht es höchst zivilisiert zu, der einzige, der hier mal um sich ballert, ist ein durchgeknallter IRA-Führer. Ansonsten ist es die trocken-lakonische Off-Erzählung von Marks, die die Ironien seiner Biografie betont. Die hängen nicht zuletzt mit seiner Rekrutierung durch den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 zusammen, der sich davon die Infiltration der IRA erhoffte – Marks entging dadurch in zwei Prozessen der Verurteilung.
Rhys Ifans verkörpert Marks mit einer lässigen Ausstrahlung, so dass man ihm den »Robin Hood der Haschschmuggler« in jeder Szene abnimmt. Wäre ein überdrehterer Film dieser Biografie eher angemessen gewesen? Vielleicht, aber in der Betonung des Alltäglichen liegt eine spezielle Qualität von »Mr. Nice«. In das Urteil des Zuschauers dürfte aber auch die eigene Haltung zur Droge Marihuana einfließen. Wer ihr Ungefährlichkeit bescheinigt, wird die Person Howard Marks zwangsläufig anders beurteilen. Dass er Charme und Ausstrahlung besitzt, wird aber niemand bestreiten können.
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