Kritik zu Der Mann, der über Autos sprang
Das Bild, das der Titel verspricht, ist nur in einer einzigen Szene zu sehen – Nick Baker-Monteys' Film handelt mehr vom Loslaufen und Pilgern als Quelle sinnlicher Erfahrungen, die über die Schwelle führen in neue, vielleicht metaphysische Räume
Wie im Märchen ist die grandiose Überwindung der Erdenschwere eine Belohnung für das Wunder, das in Nick Baker-Monteys' Film ein seltsamer Heiliger bei seinen »Jüngern« bewirkt. Das Wunder wiederum ist die Reise selbst, eine kontemplative Begegnung mit der Schönheit und Einsamkeit deutscher Landschaften und Nebenstraßen. Die krönende Metapher vom Sprung über Autos versteht sich denn auch absolut gegensätzlich zu jenem sportlich technizistischen Überbietungswahn, der den jungen Samuel in der Fernsehsendung »Wetten, dass . . . ?« mittels Sprungfedern über ein Auto springen ließ und ihm ein gebrochenes Rückgrat eintrug.
Biblische Analogien treffen die Philosophie des Films nur vage. Nick Baker-Monteys schickt keinen Jesus über Land, er ahmt auch nicht die Ironie von Luis Buñuels Pilgerposse »Die Milchstrasse« nach oder die Albernheit von Coline Serreaus Befindlichkeitspersiflage »Saint Jacques – Pilgern auf Französisch«. Seine Geschichte ist Neoromantik reinsten Wassers, ein Plädoyer für die emphatische Naturanschauung. Wer mag, kann eine Mixtur aus modernem Pantheismus, magischen Transgressionsritualen und buddhistischer Schwerelosigkeit hineinprojizieren.
Julian (Robert Stadlober), ein Mittzwanziger mit konzentriertem Blick und »innerem Lächeln«, klettert in Hamburg über die Mauer der psychiatrischen Anstalt und macht sich auf, einen Todkranken auf der Schwäbischen Alb zu besuchen. Diese Geschichte ist von Werner Herzogs Vorbild inspiriert. Vor mehr als dreißig Jahren unternahm der Regisseur eine Fußreise von München nach Paris, um voll telepathischer Inbrunst die geliebte Cineastin Lotte Eisner vom Krankenbett zu erheben – was damals gelang.
Monteys, ein in Berlin geborener, in aller Welt aufgewachsener und heute in der Potsdam-Babelsberger Fernsehlandschaft tätiger Drehbuchschreiber, knüpft in seinem ersten eigenen Spielfilm an solche Neoromantik an. Lässt man Schwerfälligkeiten des Skripts beiseite wie zum Beispiel die aufgesetzt tragische Vorgeschichte zwischen Julian und seinem kranken Als-ob-Vater oder die hysterische Outriertheit des verfolgenden Kriminalbeamten (Martin Feifel), dann kann man dem Rhythmus der Reise entspannt folgen.
Der Pilger in Konfirmationsanzug und Straßenschuhen fällt der Ärztin Ju (Jessica Schwarz) auf, die gerade mit dem Tod einer jungen Patientin konfrontiert wurde und sich nach anfänglichem Zögern auf die Begleitung des Fremden einlässt. Das Gehen als heilende Kraft entdeckt auch Ruth (Anna Schudt), eine Hausfrau und Mutter im Stress, die ihrer nervigen Familie in einem verwinkelten Städtchen abhandenkommt. Solchen Kuriositäten des Alltagslebens folgt Julian mit stoischem Blick. Kamera und Ton breiten die Schönheiten der wechselnden Landschaften und Wetterstimmungen wie ein Gegenserum in alle Nervenbahnen aus. Es bedürfte des cineastischen Wunders vom Sprung übers Auto im Grunde nicht, um dieses Loblied auf die alte romantische Lust am Wandern (jenseits der Trekkingmode) auf den Punkt zu bringen. Nick Baker-Monteys' Film erzählt, wie Freundschaft entsteht.
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