Kritik zu Midnight in Paris
Was dem einen sein Goldenes Zeitalter, ist dem andern die verhasste Gegenwart: Woody Allen schickt Owen Wilson als Zeitreisenden ins Paris von Hemingway und Fitzgerald
Wer hat nicht schon einmal mit dem Gedanken gespielt, wie schön es wäre, zu einer anderen Zeit zu leben? Zum Beispiel im Paris der 20er Jahre, als Pablo Picasso sich von Gertrude Stein seine Bilder kritisieren und analysieren ließ und Ernest Hemingway beim Whisky sour über den Zusammenhang von Liebe, Leidenschaft und Krieg parlierte, während im Hintergrund Cole Porter am Klavier lässige Lieder klimperte. In Woody Allens Midnight in Paris geht dieser Traum für den amerikanischen Touristen und Möchtegernschriftsteller Gil (Owen Wilson) in Erfüllung. Der Film ist aber mehr als eine bloße Liebeserklärung an Paris und den Zauber der Vergangenheit, parabelhaft verhandelt er die verbreitete Sehnsucht nach jenem »Früher«, an dem alles besser, aufregender oder unschuldiger war.
Owen Wilson spielt den Kalifornier Gil, einen erfolgreichen Drehbuchautor, der mit seiner Verlobten Inez (Rachel McAdams) und seinen zukünftigen Schwiegereltern Urlaub in Paris macht. Obwohl er ein Auskommen und eine Karriere hat, um die ihn viele beneiden, hegt Gil einen geheimen Traum: nämlich kein »Hollywood hack« mehr, sondern endlich ein »echter« Schriftsteller zu sein – und etwa wie Hemingway in Paris zu leben. Inez hat für solche Träumereien genauso wenig Verständnis wie die Schwiegereltern, die Paris vor allem als Shoppingmeile für diverse Luxusgüter nutzen. Gil dagegen liebt es, nachts durch die Straßen zu flanieren und ein wenig die Zeit zu imaginieren, als Hemingway die Stadt als »Fest fürs Leben« beschrieb. Und dann passiert es: Gil hat sich verirrt; die Uhr schlägt Mitternacht; ein Oldtimer kommt vorbeigefahren, und er wird von einem Mann und einer Frau zum Einsteigen genötigt. Die freundlichen Menschen stellen sich als Scott und Zelda Fitzgerald (Tom Hiddleston und Alison Pill) vor. Gil glaubt noch an einen Scherz. Erst als sie in einer Kneipe auf Ernest Hemingway (Corey Stoll) treffen, begreift er langsam, dass er zum Zeitreisenden wurde. Gar nicht schüchtern ergreift Gil die Chance und fragt das große Vorbild um Rat für seinen Roman. Der nimmt ihn daraufhin zu Gertrude Stein (Kathy Bates) mit, die sich großherzig zum Probelesen bereit erklärt. Bei Gertrude lernt Gil auch Pablo Picasso (Marcial Di Fonzo Bo) kennen – und dessen Geliebte Adriana (Marion Cotillard), in die er sich prompt verliebt.
Allein schon die lange Liste der bekannten 20er-Jahre-Größen, die hier auftauchen, bereitet dem Zuschauer in Midnight in Paris großes Vergnügen. Zwischendurch glaubt man sich in einer Sketchparade – Gil lernt sie alle kennen, von Luis Buñuel (Adrien de Van) über Salvador Dalí (Adrien Brody) bis zu Man Ray (Tom Cordier), von Cole Porter (Yves Heck) über Josphine Baker (Sonia Rolland) bis zu T.S. Eliot (David Lowe). Sie alle begrüßen den aufgeschlossenen und zugleich so entspannten Amerikaner mit großer Selbstverständlichkeit. Wobei es Woody Allen auf wunderbare Weise gelingt, diese Szenen nicht als reine Gagserie erscheinen zu lassen, sondern ihnen so etwas wie jugendliche Natürlichkeit zu verleihen. Selten hat man Fitzgerald oder Hemingway in so junger Gestalt verkörpert gesehen. Wenn Letzterer dann seine markigen Sprüche über Literatur und Krieg loslässt, kommt auch eine sympathische Aura der Anmaßung herüber – es ist, als ob man Hemingway noch beim Üben zusehen darf. Ähnliches gilt für Buñuel, dem Gil hier die Idee für den Würgeengel vorträgt, woraufhin der mit Unverständnis und schwerem spanischem Akzent nachfragt: »Aber warum können sie den Raum nicht verlassen? Warum gehen sie nicht einfach?« Und Owen Wilson als Gil entfaltet den ihm so eigenen Slacker-Charme, der ohne jede Arroganz interessierte Begeisterung mit zurückhaltender Freundlichkeit verbindet, und so glaubhaft macht, dass Hemingway und Co den ihnen unbekannten Amerikaner gerne in ihre Kreise aufnehmen.
So hat Woody Allen mit Owen Wilson diesmal in gelungener Weise auf ein Alter Ego gesetzt, das in vielen Aspekten sein Gegenteil darstellt und statt Ostküstenvergrübeltheit die sonnige Lässigkeit der Westküste mitbringt. Auch die übrige Besetzung – Kathy Bates gibt eine wundervoll pragmatisch-intellektuelle Gertrude Stein! – erweist sich als so inspirierend und überzeugend, dass die zwei kurzen Auftritte von Carla Bruni, die noch letztes Jahr fast einen Skandal auslösten – darf eine Präsidentengattin in einer Komödie mitspielen? –, kaum auffallen.
Wie bereits erwähnt, besitzt Midnight in Paris auch einen Gleichnischarakter, den Allen aber bewährt unpädagogisch in Szene setzt. Was dem einen sein Goldenes Zeitalter, so führt der Film als Pointe vor, ist dem anderen wieder nur die schnöde Gegenwart. Picassos Geliebte Adriana zum Beispiel träumt sich aus den 20er Jahren raus in die Belle Epoque. Und der Detektiv, den Gils Schwiegervater losschickt, damit er dessen mitternächtliche Aktivitäten ausspioniert, findet sich auf Wunsch in Versailles wieder, wo er gerade den König beim intimen Frühstück mit einer Geliebten stört.
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