Kritik zu Von der Kunst, sich durchzumogeln
Und noch ein Spielfilmdebüt mit schickem Soundtrack von der amerikanischen Ostküste. George ist siebzehn, Highschool-Abgänger in New York und hadert fundamental mit dem Dasein. Hat er zu viel Salinger gelesen?
Zum Beispiel findet George die unbestreitbare Tatsache der Endlichkeit des Daseins äußerst entmutigend. Irgendwo hat er das Zitat aufgeschnappt: »Du wirst allein geboren, du stirbst allein und der Rest ist Illusion!« Vielleicht bei Albert Camus, dem Meister existenzialistischer Beschwörungen, dessen Roman »Der Fremde« er in einer zerlesenen Paperback-Ausgabe immer bei sich trägt. Jedenfalls hat sich George entschlossen, wegen mangelnder Sinnhaftigkeit des Daseins einfach keine Hausaufgaben mehr zu machen. Was allen Menschen, die mit seiner Erziehung befasst sind, große Sorgen bereitet, denn George steht kurz vor dem Abschluss an einer privaten Highschool in Manhattan. Zwei Lehrer (die Eltern gehören hier nicht zu den pädagogischen Kompetenzträgern) reden ihm ganz besonders ins Gewissen: der kumpelige Schulleiter und der Kunstlehrer, der in George ein Kreativtalent erspäht hat. Gavin Wiesens Spielfilmdebüt ist eines jener zahlreichen New Yorker Debüts, deren Coming-of-age- Helden zur Verwandtschaft des Holden Caulfield aus Salingers »Der Fänger im Roggen« gehören: Weltschmerz, Angst vor narzisstischen Kränkungen, vor der Liebe.
Mit seinem Dreiviertel-Coat und den in die Stirn gelegten Haaren sieht George wie ein Britpopper aus, wie ein Oasis-Fan der ersten Stunde. Von den zwei an dem Film unbedingt lobenswerten Dingen ist das erste der Score: jede Menge Songs von Indie-Bands à la Pavement, Clap Your Hands Say Yeah oder The Shins. Auch wenn das Frische-Datum mancher dieser Songs ein Jahrzehnt zurückliegt, ist doch die musikalische Kulisse – für Liebhaber des Sounds – stimmig und glaubwürdig. Auch recht erfreulich die beiden Hauptdarsteller: Freddie Highmore als George und Emma Roberts als Sally, das Mädchen, in das sich George verliebt. Die beiden ergeben ein hübsches Paar, das mitfühlbar in die Turbulenzen der Adoleszenz gerät.
Vor allem am Anfang, wenn George die auf dem Schuldach rauchende Sally (Rauchen ist in den USA mittlerweile offenbar ein Kapitalverbrechen) ritterlich vor einer Strafe bewahrt, oder wenn die beiden, nicht wissend, ob sie schon ineinander verliebt sind, durch die Straßen New Yorks flanieren, einen Louis- Malle-Film gucken, einen Künstler im Atelier besuchen – da wünscht man sich, dass der Film in diesem erwartungsvollen und neugierigen Zustand immer weitertrudeln sollte. Aber nein, die Story will voran und plötzlich kippt Georges naives Rebellentum in platte Konformität, plötzlich verliert er alle seine Dandy-Attitüden und verwandelt sich in einen Streber. Es ist, als hätte nun der Elternbeirat die Regie übernommen.
In seinem Nachruf auf James Dean nannte François Truffaut das Kino eine »Kunst der Jugend«, dazu berufen, »die ewige Neigung der Jugend zur Herausforderung, zum Taumel, zum Stolz und Bedauern darüber, sich ›außerhalb‹ der Gesellschaft zu fühlen« in jeder Generation neu zu formulieren. Am Ende von Von der Kunst, sich durchzumogeln ist es nicht nur so, dass Gavin Wiesen das Rebellische völlig verrät, man gewinnt auch den Eindruck, dass er gar nicht begriffen hat, was Adoleszenz heißt.
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