Kritik zu Contagion
Vogel- und Schweinegrippe, zuletzt auch der Ehec-Bazillus haben sich als harmloser herausgestellt als befürchtet. Wie eine weltweite Superseuche sich ausbreiten könnte, illustriert Steven Soderbergh
Wie verwundbar uns die Globalisierung macht, kann man in diesen Tagen in der Zeitung lesen. Von der Ansteckungsgefahr an den Finanzmärkten ist da die Rede. »Contagion- Effekt« heißt die Übertragung einer Krise von einer Bank auf die nächste oder auf scheinbar unbeteiligte Volkswirtschaften.
Contagion heißt auch Steven Soderberghs Katastrophenfilm, in dem nicht mehr nur unser Wohlstand, sondern Leib und Leben, ja der Fortbestand der menschlichen Zivilisation auf dem Spiel stehen. Soderbergh und sein Drehbuchautor Scott Z. Burns schicken einen neuen, tödlichen und hochansteckenden Virus auf Reisen, eine (fiktive) Verbindung von Schweine- und Fledermausgrippe, die mit der Geschäftsfrau Beth von Hongkong über London und Chicago nach Minnesota reist, wo sie ihren Wirt – Gwyneth Paltrow – bereits nach fünf Filmminuten hinwegrafft. Stellte man sich dieses Virus als personifizierten Bösewicht vor, würde man ihn jetzt hämisch grinsen sehen angesichts der irren Geschwindigkeit des weltweiten Transfers.
Gleich die von Soderbergh selbst suggestiv fotografierten und von Stephen Mirrione zu einem beklemmenden Bedrohungsszenario montierten ersten Filmminuten erzeugen Paranoia. Im Off ist ein Hüsteln zu hören, auf der Stirn von Paltrow glänzt verdächtig der Schweiß. »Day 2« ist eingeblendet in die Szene zu lesen – es ist von Anfang an zu spät. Die Kreditkarte, die Beth dem Barkeeper reicht, die Schale mit den Erdnüssen auf dem Tresen, Touchscreens, Türklinken, Aufzugknöpfe – überall, suggeriert die Montage, wandern Viren von Hand zu Hand. Und überall kommt Beth Menschen näher, als es deren Gesundheit guttut: einem Barkeeper, Geschäftsfreunden, den Mitreisenden im Flugzeug. So werden aus zwei Opfern vier und aus vier sechzehn; am Ende werden es 26 Millionen Tote sein. Die Seuche lehrt die Menschen Distanz, Abstand halten kann lebenswichtig sein. Was umgekehrt bedeutet, dass die Möglichkeit von Nähe Zeichen einer gesunden Gesellschaft ist.
Solche Überlegungen tauchen allerdings nur am Rande der Geschichte auf. Contagion lässt vor allem eine Starriege an diversen Fronten gegen das Virus kämpfen. Laurence Fishburne als Vertreter der amerikanischen Seuchenbehörde ist der integre Experte mit Autorität an der Heimatfront; Kate Winslet eine Ärztin, die in seinem Auftrag in der vordersten Reihe der Ersthelfer steht. Marion Cotillard verkörpert eine Epidemiologin der Weltgesundheitsbehörde, die den Ursprung des Erregers sucht und in den globalen Verteilungskampf um den Impfstoff gerät. Matt Damon schließlich spielt den Ehemann der toten Beth, der mit allen Mitteln schützen will, was ihm von seiner Familie geblieben ist.
Leere Büros, ausgestorbene Straßen und geplünderte Supermärkte, ganze Städte unter Quarantäne – das Bild, das der Film von den Auswirkungen der Seuche zeichnet, ist angsteinflößend und nicht unrealistisch. Soderbergh ist ein geschickter Genreregisseur, spannend aber ist Contagion vor allem da, wo er die Genregrenzen überschreitet: wenn Stars geopfert werden und sich das Virus nicht an die Moral des Katastrophenfilms hält. Dazu passt der eher kühle Ton der Erzählung. Einzelne Figuren sind nicht so wichtig; der schier grenzenlosen Virenverbreitung setzt Soderbergh vielmehr das ebenfalls globale Netz der Forschung, des Informationsaustausches und der Verteilung von Ressourcen entgegen. Dass dieses Netz zwar Löcher bekommt – logistische, moralische –, aber dennoch hält, darf als optimistische Annahme gelten.
Während also die Infrastruktur zerfällt und Erkrankte nicht mehr versorgt werden können, bleiben Seuchenbehörde und Pharmaforscher im Einsatz. Und von den zentralen Figuren des Films ist es nur ein Blogger, der destabilisierend wirkt – Jude Law spielt ihn als windigen Typen mit Schiebermütze. Dieser Prophet der Angst heizt die Panik noch an und bezichtigt die Regierung, der Pharmaindustrie in die Hände zu arbeiten. Gegen Figuren, wie sie Fishburne, Winslet oder Cotillard verkörpern, hat dieses zwielichtige Männlein jedoch keine Chance. Er ist der Treibsand; sie sind Felsen der Integrität und Menschlichkeit in der apokalyptischen Brandung, denen man Regelverstöße wie einen riskanten Selbstversuch nachsieht, zumal erst diese den Erfolg bringen – ein sehr amerikanisches Heldenbild. Es mindert den Schrecken des Films beträchtlich. Das Gottvertrauen, das der Aufenthalt in größeren Menschenmengen erfordert, kann einem Contagion aber durchaus austreiben.
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