Da unten ist die Hölle los

Das australische Kino: Schrecklich & schön
»Mad Max: Fury Road« (2015)

»Mad Max: Fury Road« (2015)

Australien – da stellt man sich postkartenschöne Landschaften vor, in Rot und Gelb, überwölbt von einem großen Himmel. Aber das ist nur das Klischee. Georg Seeßlen hat ein anderes Land gefunden, in Surf Movies, schrägen Komödien und postapokalyptischen Szenarien

 

Die magische Topographie Australiens sieht ungefähr so aus: Da gibt es Strände, wo Surfer, Taucher und Schwimmer, Beachvolleyballer, Tennisspieler und Paraglider einen ewigen Sommer feiern und der Lichtschutzfaktor der Sonnencreme gar nicht hoch genug sein kann. Es gibt die großen Städte mit beeindruckenden Architekturen und Schattenseiten wie in allen Metropolen dieser Welt: Gewalt, Drogen, Elend. Manchmal treffen diese beiden Welten aufeinander, wie in dem Film Bra Boys (2007, Sunny Abberton und Macario De Souza). Der erzählt die mehr oder weniger wahre Geschichte eines Jungen, der in einer der dysfunktionalsten Familien von Sydney aufwächst – die Mutter heroinabhängig, der Vater schwerst kriminell, der Bruder des Mordes angeklagt – , aber durch sein außergewöhnliches Surf-Talent aus dem Teufelskreis von Gewalt und Drogen ausbricht und schließlich mit seinem Bruder eine Organisation gründet, die Jugendlichen beim Ausstieg helfen will.

Die ewige Strandparty

Diese dunkle Seite der Küstenstadtwelt von Australien, in die man auch im Skinhead-Film Romper Stomper (1992, Geoffrey Wright) blickte, verschwindet freilich immer wieder hinter dem abstrakten Heroismus von Surf Movies wie Bunyip Dreaming (1991, Jack McCoy), einem der Klassiker des Genres, oder in der perfekten Mischung von Rockmusik und Surfbildern in Allstar-Clips wie Storm Riders (1982, Dick Hoole, David Lourie) oder in Sabotaj (1998, Jack McCoy), einem Porträt des australischen Profisurfers Taj Burrow. Traum und Alptraum ganz nahe beieinander also auf der Seeseite der magischen Topographie Australiens im Film. In dem sonderbaren Surf-Thriller Summer City (1977, Christopher Fraser) bricht schon einmal die in den sechziger Jahren aufgebaute Fassade der ewigen australischen Strandparty vollständig zusammen. Dafür hatte das australische Kino einen neuen Star: Mel Gibson. Gleich dahinter beginnt ein endloses Land. Und auch hier begegnen sich sehr rasch Traum und Alptraum. Das Land ist einfach zu groß, um es wirklich zu zivilisieren. Also kann man sich hier nur, in ferner Anlehnung an den amerikanischen Western, drei Aggregatzustände des Menschen vorstellen.

»Summer City« (1977)

Da ist zum einen der tüchtige, lakonische Pionier, der heroisch und manchmal listig dem Land dann doch immer wieder die Zivilisation abtrotzt. Dazu gehören die »Flying Doctors« des Aerial Medical Service (AMS), die für eine medizinische Versorgung der weit verstreut lebenden Menschen im Outback – also im Hinterland, im Busch – sorgen. Welche Art Helden ließe sich besser für »Last Minute Rescue«-Geschichten verwenden? Seit 1936 jedenfalls (The Flying Doctor, Miles Mander) werden mit schöner Regelmäßigkeit Geschichten um die fliegenden Ärzte erzählt, und natürlich bekamen sie eigene Fernsehserien, wie The Flying Doctors (1986–1992).

Dann ist da der ungehobelte, aber herzensgute Naturbursche, der in Paul Hogans Crocodile Dundee (1986, Peter Faiman) und seinen Fortsetzungen die größte internationale Reputation erlebte. Hogan, mit Krokodilzähnen am Hut und einem überdimensionalen Messer bewaffnet, ist der naive Botschafter des Outbacks für den Rest der Welt: Milde ironisiert und doch liebenswert in seiner Grundehrlichkeit, ist dieser australische Hinterwäldler zu einer Ikone geworden. Ein ideales Selbstbildnis des australischen Innenlandes, das sogar der Tourismuswerbung gelegen kam.

»Crocodile Dundee« (1986)

Der dritte Typus ist das Monster der Entzivilisierung in den Outbacks, der Outlaw, der sich wie der düsterste Schatten von Crocodile Dundee in dem Horrorfilm Wolf Creek (2005, Greg McLean) und seinen Sequels zum Folterer und Mörder auch unschuldiger Eindringlinge wandelt. Dass Regisseur McLean weiß, was er tut, zeigt er, indem er einmal explizit auf Crocodile Dundee anspielt.

Die zivilisierende Eroberung des Outbacks scheint in Filmen wie diesen vollkommen gescheitert. Der Backwoods-Horror lässt alles Märchenhafte hinter sich; der barbarische Killer in Wolf Creek scheint das unmittelbare Produkt eines gescheiterten aus­tralischen Traums zu sein. So wie die Natur selbst in australischen Katastrophenfilmen dazu neigt, auf die Menschen zurückzuschlagen, so kommt hier der gescheiterte Outback-Besiedler als Monster zurück. Übrigens basierte das Skript auf einigen wahren Mordfällen in den Outbacks, was nicht das einzige Element eines finsteren Realismus ist.

Man kann hier einfach so verschwinden

Der Moment, in dem die Erfahrung von Weite in die von Fremdheit umkippt, ist, wenngleich weniger drastisch, in vielen Outback-Filmen vorhanden. Es ist hier nicht ganz unwahrscheinlich, einfach zu verschwinden. Auf so mystische Weise vielleicht wie die Schulmädchen in Peter Weirs Picnic at Hanging Rock (Picknick am Valentinstag, 1975) oder auf so dramatische wie das Baby in Evil Angels (Ein Schrei in der Dunkelheit, 1988, Fred Schepisi), dessen Eltern des Mordes angeklagt werden und erst in einem langen Prozess beweisen können, dass die Dingos, die australischen Wildhunde, das Kind geraubt haben. Der wahre Fall erschütterte das Land so sehr, dass die verzweifelte mütterliche Aussage »The Dingo took my baby« zu einem mehr oder weniger geflügelten Wort wurde (sogar bei den Simpsons taucht es auf). In ihm steckt vielleicht der ganze Zorn und die ganze Hilflosigkeit über die ewige Fremdheit des Outbacks, die zur Metapher der Fremdheit des Menschen in der Welt ausgeweitet werden kann.

»Picnic at Hanging Rock« (1975)

Peter Weir hat nach Picnic at Hanging Rock mit The Last Wave (Die letzte Flut, 1977) einen weiteren Entfremdungsfilm gedreht, wo in die Kultur eines mittelständigen Weißen die der Aborigines einbricht. Australien, das ist ein Land. Aber es sind mindestens zwei vollkommen unterschiedliche Räume. Dass es in einem Territorium unterschiedliche Räume gibt, das vermittelt außer dem amerikanische Spätwestern – seit John Fords The Searchers (Der schwarze Falke, 1956) – kaum ein Kino so deutlich wie das australische.

Es ist das weite Land, das von Traumpfaden durchzogen ist, die in der Landnahme durch die Weißen zerstört und zertrampelt wurden. Einer der schönsten Outback-Filme ist zweifellos Walkabout (1971) von Nicolas Roeg (nach einem Drehbuch von Edward Bond), die Geschichte einer Initiation. Er erzählt von zwei Kindern, die im Outback stranden, nachdem sich ihr Vater umgebracht hat. Die zwei treffen auf einen Aborigine-Jungen, zusammen machen sie sich auf den »Walkabout«. Aber es gibt kein glückliches Ende; dieser Traumpfad, der für einen Moment Versöhnung zwischen den wahren Australiern und den Eroberern versprach, kann nur zum Abgrund führen. Oder zum Bruch mit der Vergangenheit, den der Film am Ende mit verstörender Härte vollzieht.

»Walkabout« (1971)

Die vage Verwandtschaft in der Siedlungsgeschiche von aus­tralischem Outback und amerikanischem Westen führte zu dem kleinen Subgenre des australischen Western. Der Outlaw Ned Kelly (1854–1880), der mit seiner  Bande von Buschrangern im Kampf gegen die britischen Kolonialbehörden von Melbourne aus ins Hinterland flüchtete, hat eine Reihe von Filmen inspiriert: Mick Jagger spielte den rauschebärtigen Rebellen in Ned Kelly (Kelly, der Bandit, 1970, Tony Richardson), später war es Heath Ledger (Gesetzlos – Die Geschichte des Ned Kelly, 2003, Gregor Jordan). Und Tom Selleck spielte in Quigley Down Under (Quigley der Australier, 1990, Simon Wincer) einen Cowboy und Scharfschützen aus dem amerikanischen Westen, der im australischen Outback Dingos schießen soll und zum Beschützer der Aborigines gegen einen kriminellen Unternehmer wird.

Aber das Outback ist nicht nur weites Land und Traumpfade, da gibt es auch einen zentralen Ort mit dem verheißungsvollen Namen Alice Springs. Es ist eine Stadt wie andere, einerseits. Aber es ist auch ein »letzter« Ort, eine Stadt nun eben inmitten einer Weite, die jederzeit zur Fremde werden kann. Jedenfalls spielt sich hier das »typische« australische Leben jenseits der Küstenträume und -Alpträume ab. Es ist der Ort, an dem sich die Lebenswege immer wieder kreuzen, wie etwa die der Aborigine-Zwillinge in der TV-Serie Double Trouble (2008, Wayne Blair, Richard Frankland), die bei der Geburt getrennt wurden und zwei unterschiedliche, gleichwohl typische Kindheiten verbrachten: Die eine wuchs bei einer europäisch-australischen Familie in Sydney auf, die andere in einer traditionell lebenden Aborigine-Gemeinschaft. Einige Plotwendungen ermöglichen es, dass die beiden ihre Rollen tauschen und wir mit ihnen erfahren, wie wenig Australien Australien ist. Alice Springs ist auch der Ort, an den die Reise in The Adventures of Priscilla, Queen of the Desert (1994, Stephan Elliott) führt. Es ist die Reise der Dragqueen »Mitzi Del Bra« aus Sydney und ihrer Freunde, eine Reise, die buchstäblich wie metaphorisch ins Innere des Landes geht. Wie die Dundee-Filme, wie die Surf Movies scheint Priscilla mit ihrem schrillen Sentiment das Australienbild zu bestätigen, inklusive freundlicher Aborigines und homophober Hinterwäldler.

In »naher Zukunft«

Und wie lebt es sich nun in den Outbacks, in der Zeit, in der heroische Pioniertaten so wenig noch gefragt sind wie siedlerische Selbstbeschränkung? Ist es noch immer das gleichzeitige Von-Draußen und Zurück? Der Arzt George Miller war schockiert vom besinnungslosen Verhalten der jungen Leute, die nichts anderes mehr mit ihrem Leben anzufangen wussten, als sich zu betrinken und dann mit aufgemotzten Autos über endlose Landstraßen zu brettern und mit dem eigenen Leben und dem der anderen zu spielen, das offensichtlich nicht viel wert war. Aus der Empörung darüber entstand die Idee zum erfolgreichsten australischen Film: Mad Max (1979). Die Zivilisation ist nun – in »naher Zukunft« – endgültig gescheitert, es geht nur noch um einen Kampf aller gegen alle um Treibstoff und das schiere Überleben. In den folgenden Filmen zog Mad Max alias Mel Gibson weiter durch ein postapokalyptisches Australien, in dem die Straßen der Gewalt jeden Traumpfad zerstört haben. Gibt es Neuanfänge, wird die Geschichte der Besiedlung noch einmal geschrieben? Der Held wandelte sich vom Amokläufer zum Messias. Und die australischen Räumlichkeiten stürzen ineinander: endlose Weite, Käfigenge der Gefangenschaft. Natürlich war man im fernen Europa einmal mehr pikiert: Der Film, Exploitation mit minimalem Budget und maximalem Effekt, erliege selbst der Faszination der Gewalt, die er zeigt. In der Tat kann man, wenn man die cineastische Entsprechung von »Zorn« finden soll, auf einige Szenen aus Mad Max verweisen. Was hat das mit Australien zu tun? Alles und nichts wäre eine Antwort.

»Mad Max« (1979-1985)

Die postapokalyptischen Niemandslandfilme aus Australien jedenfalls entsprachen dem Lebensgefühl der achtziger Jahre. No Future jenseits von Gewalt, Fremdheit und bizarren Sportritualen. In Salute to the Jugger (Die Jugger – Kampf der Besten, 1989, David Webb Peoples) kommen Sport und Apokalypse noch einmal zusammen, in einem an Football erinnernden mörderischen Spiel, das übrigens in zwei Ländern dieser Erde zu einem realen Sportereignis für gelangweilte Kids umgebaut wurde: in Australien und in Deutschland.

Kein Film, der die Schönheit der australischen Outbacks beschrieb, konnte ganz und gar ihren Schrecken verbergen. Und kein Film, der die Schrecken der Outbacks beschrieb, konnte ganz und gar ihre Schönheit verbergen.

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