Kritik zu Ein Sommer in Haifa
Kaum ein Beruf ist schillernder als der des Ehevermittlers. Er bildet in seiner ebenso einfühlsamen wie skrupellos zielgerichteten Beratung das Zentrum von Avi Neshers Film über ein vergangenes Israel
Haifa im Jahr 2006. Es ist die Zeit des Libanonkriegs. Ein Mann in den besten Jahren fährt mit seinem Vater in die Stadt zum Notar. Es ist wichtig, hat man ihm gesagt. Doch dass er eine nicht unbedeutende Erbschaft machen wird, erwartet er nicht. So beginnt der Film Ein Sommer in Haifa mit der Gegenwart, um von der Vergangenheit zu erzählen. Denn mit einer großen Summe Geldes und einer Wohnung erhält der inzwischen zum Schriftsteller avancierte Arik auch seine Notizen aus dem Sommer 1968 zurück, als er für den Ehevermittler Yankele arbeitete. Als dieser damals verschwand, hätte Arik nicht im Traum damit gerechnet, einmal sein Vermögen zu erben. Und bis zum Schluss wird nicht klar, wie ein rumänisch-jüdischer Überlebender des Holocaust derart reich werden konnte.
Neshers Film Ein Sommer in Haifa, dessen Titel auf den ersten Blick täuscht, wenn er eher Belanglosigkeit vermuten lässt, ist ebenso voll von Geschichten wie von Geschichte. Verliebte Teenager, einsame Männer, sehnsuchtsvolle Liliputanerinnen, Glücksspieler, ordnungssüchtige Bibliothekare, Soldaten und solche, die es noch werden wollen, und mitten drin ein altes Kino als kulturelles Zentrum unter der ständigen Bedrohung kriegerischer Auseinandersetzungen. Kunstvoll bringt Nesher die historischen Bedingungen mit dem ganz normalen Alltag zusammen, erzählt von Jungen, die ihren ersten Kuss bekommen und plötzlich nicht mehr zur Armee wollen. In den Geschlechterbeziehungen spiegelt sich die Situation der Stadt ebenso wie die des ganzen Staates, nichts ist einfach, nichts selbstverständlich und doch findet es statt, in überwältigender Unmittelbarkeit. Die romantischen Liebesideale Ariks bewegen ihn beispielsweise auch bei seinem Wunsch, Soldat zu werden und für Israel zu kämpfen. Doch beides erfüllt sich nicht. Zu seinem Glück. Die 60er Jahre in der Hafenstadt Haifa sind aber ebenso geprägt vom jugendlichen Aufbruch in der westlichen Welt, der »Make Love not War«-Bewegung in den USA und der Musik von Bob Dylan und Jefferson Airplane. Diese Ebene sorgt dafür, dass Neshers Film ein Rückblick ohne Zorn ist, und Lebensfreude direkt neben der Lebensbedrohung stehen kann. Das ist die große Leistung dieses Films.
Weniger überzeugend sind die vielen Geschichten, die sich überlagern, ohne sich zu ergänzen. Es ist eben kein Reigen, sondern ein buntes Sammelsurium der Ehevermittlung zwischen Prostitution und Routine. Manchmal wird es fast anekdotisch, dann wieder banal witzig, wenn der betrunkene Mann einer Frau sagt, wie hässlich sie sei, und auf die Antwort, er sei ja betrunken, entgegnet: »Aber morgen nicht mehr.« Manche Geschichten sind zu illustrativ, zu wenig bedeutsam und zu raumgreifend. Sie werden zum Selbstzweck und nehmen dem Film seine Konzentration. Indem Nesher zu viel erzählt, droht er das Wesentliche aus dem Blick zu verlieren. Doch dann retten ihn seine Figuren. Der wache Junge Arik (Tuval Shafir) und der verschlagene Ehevermittler Yankele Bride (Adir Miller) sind Symbole der Freiheit, des Überlebens und der Zukunft Israels. Insofern ist Ein Sommer in Haifa eben auch ein optimistischer Film.
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