Kritik zu Der Schnee am Kilimandscharo
Selten kommen die Filme von Robert Guédiguian in unsere Kinos. Sein neuer Film zeigt ein Mal mehr, wie bedauerlich das ist: Sie sind mediterranbeschauliche Plädoyers für die Mitmenschlichkeit
Michel kann nicht anders. Als die Gewerkschaft 20 Werftarbeiter auslosen muss, die entlassen werden sollen, streicht er seinen Namen nicht von der Liste. Er ist aufrecht und hat seinen Stolz. Der Vorruhestand wird keine großen Schrecken für ihn bereithalten. Er ist einer, für den eine Niederlage das Glück nicht schmälert, gekämpft zu haben. Aus ihm ist zwar weder ein zweiter Jean Jaurès noch ein zweiter Spiderman geworden, aber beide Idole seiner Jugend sind ihm heute noch teuer. An manchen Tagen sei es schwer, mit einem Helden zu leben, sagt seine Frau Marie-Claire über ihn. Ihr Lächeln verrät, wie sehr sie ihn für diese Tage liebt.
Auch Robert Guédiguian kann nicht anders. Er dreht seit 30 Jahren Filme über Alltagshelden wie Michel, die ihre Überzeugungen im Munde führen und tief verwurzelt sind in L’Estaque, dem westlichen Vorort von Marseille, in dem der Regisseur selbst geboren wurde. Sie werden unweigerlich verkörpert von alten Freunden, Jean-Pierre Darroussin und Gérard Meylan, sowie seiner Frau Ariane Ascaride. Selten verlässt er dieses vertraute Terrain. Er hat einen Film über François Mitterrand und einen über eine armenischstämmige Zelle der Résistance gedreht, aber man kann nicht behaupten, er sei damit von seinem Weg abgekommen. Ihm bleibt keine Wahl, als von Menschen zu erzählen, die er bewundern und lieben kann.
Eines Abends werden Michel und Marie- Claire während eines gemeinsam Kartenspiels mit ihrer Schwester Denise und ihrem Mann Raoul von zwei maskierten Jugendlichen überfallen. Sie rauben die Geldgeschenke vom 30. Hochzeitstag, auch das Flugticket für die Traumreise zum Kilimandscharo. In diesem Moment vollzieht der Film eine großmütige dramaturgische Bewegung, in dem er einem der Diebe folgt und uns die kläglichen Lebensumstände zeigt, die ihn und seine zwei jüngeren Brüder bedrängen: Er ist einer der 20, die entlassen wurden. Ein plausibel eingefädelter Zufall bringt Michel auf seine Spur. Seine Wut schlägt jedoch bald um in den Wunsch zu helfen. Schwager Raoul dagegen will diesen Schritt nicht mitmachen – seine Frau Denise ist seit dem Überfall traumatisiert –, aber Marie-Claire verhindert ein Zerwürfnis mit dem wundervollen Satz: »Komm zurück, wir brauchen jetzt einen Jugendfreund.« Darin steckt der ganze Guédiguian. Liebe und Freundschaft, sie halten lange in seinem kleinen, filmischen Kosmos; solange man sich bemüht, die Achtung des Anderen zu verdienen. Seine Filme sind ungeniert utopisch.
Die Güte seiner Figuren ist für nüchterner veranlagte Zuschauer fast schwer erträglich. Guédiguian scheut weder vor Militanz noch vor Sentimentalität zurück. In ihrer beschaulichen Konsequenz handeln seine Filme von der Treue, der persönlichen wie der ideologischen. Man merkt ihnen an, dass er Sohn eines Werftarbeiters ist und Soziologie studiert hat. Mit Der Schnee am Kilimandscharo hat er, nicht ganz beiläufig, auch einen Film gegen die Globalisierung gedreht: Geld, das man großzügig in der eigenen Reichweite ausgibt, ist gut angelegt
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