Kein Weltuntergang
Wäre man abergläubisch, dürfte man nun aufatmen: "Das haben wir ja doch mit heiler Haut überstanden." Aber seit der Aufklärung lösen Sonnenfinsternisse keinen Schrecken mehr aus, sondern faszinierte Schaulust. Das ist im Kino in der Regel noch ganz anders. Dort ist, um der dramatischeren Wirkung willen, eine Sonnenfinsternis allerdings auch meist total; ein Phänomen, dessen wir in unseren Breiten nur selten ansichtig werden.
In Filmen wie Apocalypto erscheint die Eklipse den Menschen als ein Menetekel, die Götter könnten sich abkehren von ihnen. Meine erste Begegnung mit einer Sonnenfinsternis fand in Tim und Struppi und der Sonnentempel (ich glaube, zuerst im Film und dann im Comic) statt. Darin entgehen Tim und seine Gefährten dank einer perfekt abgepassten himmlischen Intervention dem Tod auf dem Scheiterhaufen. Das hat mich als Kind mächtig beeindruckt. Als ich den Film Jahrzehnte später mit den beiden Töchtern einer Freundin wiedersah, hatte die Szene auf sie die gleiche Wirkung. Die womöglich interessanteste Sonnenfinsternis ist jedoch in dem Sandalenfilm Barrabas zu bestaunen, wo Richard Fleischer die gleichsam laizistische Variante eines biblischen Wunders in Szene setzt. Mein Lieblingsfilm von Michelangelo Antonioni führt eine Sonnenfinsternis im Titel (L'Eclisse, zu deutsch Liebe 1962). Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, findet aber keine statt, vielmehr dient sie als Metapher für das Verschwinden der Liebe.
Nachdem die letzte Sonnenfinsternis 1999 für Berliner reichlich enttäuschend verlief – es war zu bedeckt, als dass man einen Unterschied hätte bemerken können -, herrschte gestern ideales Wetter. Eine Schutzbrille hatte ich mir nicht besorgt - im Gegensatz zu meinem Vater, der gerade auf Rügen weilt und sich dort am Strand inmitten einer Traube von Schaulustigen wiederfand, die ihn mit Bonbons und Schokolade bestechen wollten, sie ihnen kurz überlassen. Ich hätte sie beinahe sogar verpasst, saß an einem Artikel, der bis Mittag fertig werden sollte. Glücklicherweise ging er mir dann doch schneller von der Hand. Beim Blick aus unserem Innenhof war ich fasziniert von der eigentümlichen, dunklen Tönung, in der Sonnenlicht herab strahlte. Unwillkürlich musste ich an die "schwarze Sonne" denken, von der Georges Marchal der verdutzten Catherine Deneuve in Belle de Jour erzählt. Eine Nachbarin gestand mir, sie fände diese, wenn auch sachte, Verdunklung doch ein wenig beunruhigend.
In dem Film, über den ich an diesem Morgen schrieb, spielen optische Phänomene ebenfalls eine gewisse Rolle. Es handelt sich um Zu Ende ist alles erst am Schluss, eine jener französischen Komödien, die sich eigentlich eher ans Herz, als an die Augen richten. Ein ausgeprägter Stilwille ist in solchen Filmen sogar störend, in ihnen sollte besser nichts von der Handlung und den Darstellern ablenken. Aber Jean-Paul Rouve und sein Kameramann Chistophe Offenstein setzen auf reizvolle Weise Objektive mit langen Brennweiten ein. Sie arbeiten mit Unschärfen, mit verschwommenen Konturen, um dezent zu visualisieren, wie diffus den Charakteren das Leben zuweilen erscheint.
Diese Schärfenverlagerungen beschäftigen mich momentan auch aus persönlicher Betroffenheit. Seit Mittwoch trage ich eine Gleitsichtbrille, die meinen Blick auf die Welt doch ein wenig verändert. Das klare Sichtfeld erscheint mir erst einmal begrenzt, ich muss es jeweils durch die richtige Kopfhaltung herstellen. Mein Optiker versicherte mir, das würde sich nach einer gewissen Gewöhnungsphase schon geben. Er musste mich übrigens beharrlich korrigieren, da ich ich anfangs immer von einer Zweistärkenbrille sprach (ich hatte da wohl Chinatown im Sinn, wo besagte Augengläser ein wichtiges Indiz sind, das zur Klärung des Falles entscheidend beiträgt). Wenn ich anfangs meinen Kopf bewegte, schien meine Umgebung ins Schwanken zu geraten. Wie in einer Weitwinkel-Einstellung verzerren sich die Konturen. Mein Optiker schmunzelte, als ich daraufhin sagte, das sei so, als habe der Schwenker bei einer Kamerabewegung die Schärfe nicht schnell genug nachgezogen.
Das ist ein Effekt, dessen man wohl nur noch in alten Filmen inne wird. Bei heutigen Digitalkameras lässt er sich wahrscheinlich leicht vermeiden. Da ist die Schärfe vielleicht kein mühsam herzustellendes Gut mehr, sondern die Normalität. Ich mochte diesen Unschärfe-Effekt immer gern, er unterstreicht den handwerklichen Aspekt des Filmemachens. Jede Bewegung stellt eine Entscheidung dar, die Konsequenzen hat: Der Fokus muss jeweils neu justiert werden. Die neue Brille führt mir vor Augen, dass die Kamera stets eine Wahl trifft, welche Zonen im Bild sie scharf oder diffus zeigen will. Ich vertraue meinem Optiker. Und mein Respekt vor dem Metier des Schwenkers ist mächtig gestiegen.
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