Kritik zu Belgrad Radio Taxi
Geschichten aus der Großstadt: In seinem zweiten Spielfilm als Regisseur beweist Srdan Koljevic, dass es im neueren serbischen Kino einen profunden sozialen Realismus gibt
Eigentlich ist der Hauptdarsteller dieses Films eine Brücke. Die Branko-Brücke verbindet den alten Stadtkern Belgrads mit dem Stadtteil Novi Beograd auf der anderen Seite der Stadt, einem nach dem Zweiten Weltkrieg am Reißbrett angelegten Wohn- und Bürokomplex, einst so etwas wie der Stolz des sozialistischen Wohnungsbaus im ehemaligen Jugoslawien. Die immer verstopfte Brücke ist eine der Lebensadern der Stadt, und ihren – inoffiziellen – Namen soll sie von dem Dichter Branko Copic haben, der sich von ihr in den Tod stürzte.
Und wenn Belgrad Radio Taxi so oft den Blick auf sie richtet, dann ist das natürlich eine Metapher, für das Alte und das Neue, für den Lebensstrom, der nach einer Zeit der Agonie immer noch in dieser Stadt pulsiert. Und sie setzt den Tonfall für diese Alltagskomödie, die schwerelos dahingleitet. Für den Film ist die Brücke so etwas wie ein Katalysator. Denn in das Taxi von Gavrilo (Nebojsa Glogovac) steigt an einem dieser dieser diesigen Tage, von denen es in Belgrad einige hat, eine junge Frau mit einem Baby im Arm. Sie blutet im Gesicht, weswegen der Film im Original auch viel unspektakulärer Zena sa slomljenim nosem (Die Frau mit der gebrochenen Nase) heißt. Es ist grau draußen, es regnet, und auf der Brücke ist, natürlich, Stau. Hinter dem Taxi fährt die Lehrerin Anica (Anica Dobra), und im Auto neben ihm die Apothekerin Biljana (Branka Katic), die mit ihrem Freund über den geplanten Hochzeitstermin diskutiert. Gavrilo ist eher bärbeißig, und als er die Frau anherrscht, sie solle nicht sein Auto vollbluten, springt sie raus – und stürzt sich von der Brücke. Ein Moment, der diese drei Figuren aneinanderkettet. Und, das ist eine große Meisterschaft, er währt nur wenige Minuten.
Biljana springt ins Auto von Anica, und die beiden freunden sich an. Gavrilo, der Flüchtling aus Bosnien, hat für sein Taxi, einen alten Mercedes, keine Lizenz. Den Sprung meldet er nur anonym, und das Baby gibt er erst mal der Prostituierten Jadranka, die wie er aus Bosnien stammt. Eigentlich hat man sich an solchen Filmen mit mehreren Figuren und Episoden, die irgendwie immer ein Gesellschaftsporträt ergeben sollen und seit den neunziger Jahren ziemlich in Mode waren, sattgesehen. Aber bei Belgrad Radio Taxi funktioniert diese Konstruktion: weil man erst nach und nach erfährt, welche Verletzungen ihre Figuren mit sich herumtragen. Und weil Srdan Koljevic ganz unprätentiös ihre Welt mit einem fast dokumentarischen Gestus beschreibt, so dass seine Charaktere alles andere als thesenhaft wirken.
Belgrad Radio Taxi ist ein Film über die Schatten der Vergangenheit, die immer noch auf den Menschen lastet. Gavrilo, die eigentliche Hauptfigur, schleppt ein Kriegstrauma mit sich herum, das ihn zu einem Misanthropen gemacht hat; was genau es war, erfahren wir nicht. Anica, die Lehrerin, hat durch einen Unfall ihren Sohn verloren, erzählt sie einmal einem Schüler, der ihr nachstellt. Biljanas Verlobter starb, weil er sich durch eine vorgetäuschte Erkrankung vor dem Militärdienst drücken wollte und sich im Krankenhaus eine Infektion einfing. Aber eigentlich war sie schon damals in seinen Bruder verliebt, der heute als Priester in der St.-Sava-Kirche arbeitet und dessen Frau ein Kind erwartet. Nach dem Zwischenfall auf der Brücke beginnt sie nach den Spuren ihrer Vergangenheit zu forschen.
Es sind nicht die großen Ereignisse, die diese Menschen traumatisiert haben. Auch wenn die Geschichte der letzten Jahrzehnte immer wieder heraufdrängt: das fängt an bei den Jugoschlagern einer vor der Schließung stehenden Radiostation, die die Figuren auch auf der Tonspur verbindet, und hört mit dem Besuch des Tito-Museums noch lange nicht auf. Am 4. Mai, Titos Todestag, besucht Jadranka den Sarkophag des Politikers: Sie durfte ihm einmal die Hand schütteln. Weshalb Gavrilo sie spöttisch »Miss Jugoslavija« nennt.
Am Ende dieses Films steht die Hoffnung. Und die Veränderung. Jasmina, die Frau mit der gebrochenen Nase, konnte gerettet werden, und Gavrilo nimmt sie bei sich auf. Und spricht. Ihr Baby hat er ja schon lange in seiner Obhut. Und das ist vielleicht der schönste Strang dieser Geschichten, die vom Leben und Überleben handeln: der Mann und das Baby
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