Hacker – das Testmodell eines entfesselten Ichkapitalismus
Hacker galten mal als Rebellen. Heute sind sie im Dienst autoritärer Regime unterwegs und bedrohen Hollywood
Manchmal holt die Realität die Fiktion schneller ein, als einer die Enter-Taste drücken kann. Der jüngste Hackerangriff auf die Rechner des Unterhaltungskonzerns Sony war so ein Fall. Es wird wohl nie abschließend zu klären sein, ob »Sonyleaks« nur der pubertäre Streich einer Cyberspaßguerilla war oder tatsächlich eine politisch motivierte Tat aus dem Dunstkreis des nordkoreanischen Regimes. Die Reaktionen auf die Drohung mit Vergeltungsanschlägen, sollte Sony die Nordkoreasatire The Interview in die Kinos bringen – oder in irgendeiner anderen Form vertreiben –, zeigt immerhin zweierlei: die Dünnhäutigkeit der amerikanischen Öffentlichkeit zwölf Jahre nach 9/11, die unter anderem in der vollmundigen Erklärung Barack Obamas resultierte, es sei patriotische Pflicht, sich die Seth-Rogen-Klamotte aus dem Netz zu besorgen. Vor allem aber wurde das wachsende allgemeine Unbehagen gegenüber Bedrohungen aus dem Cyberspace durch Hacker sichtbar, denen man inzwischen selbst Terroranschläge im »First Life« zutraut.
In diese erhitzte Stimmung passt Michael Manns neuer Hackerthriller ganz ausgezeichnet, deutet doch schon der Titel einen Paradigmenwechsel an. In Branchenkreisen kursierte das Projekt lange unter dem nostalgischen Arbeitstitel »Cyber«. In die Kinos kommt Manns Film nun als Blackhat – ein Begriff für den Typus des kriminellen Hackers, für Cybersöldner, die ohne politische Agenda agieren. Diese deutlich pessimistischere Konnotation passt zum derzeitigen Stimmungsbild. Zwar genießt eine Organisation wie Anonymous in der Öffentlichkeit weiterhin großen Zuspruch, aber das wachsende Misstrauen gegenüber jeder Form von Datenspionage hat auch das Ansehen des Hackers nachhaltig beschädigt. Der Imagetransfer Hacker = autoritätskritisch = links gelingt nicht mehr so leicht wie in den achtziger Jahren, als der Chaos Computer Club seine ersten Konferenzen in besetzten Häusern abhielt, und sogar noch in den Neunzigern, als die Wachowski-Geschwister die Matrix zum Symbol universeller Unterdrückung und den Hacker zum Erlöser erhoben.
In den hochtechnisierten westlichen Ländern werden die maßgeblichen gesellschaftlichen Konflikte großenteils nicht mehr in der physischen Welt ausgetragen. Dort manifestieren sich allenfalls noch ihre Auswirkungen. Menschen sind über Rechner mit Menschen verbunden, Kapitalflüsse verlaufen virtuell, Daten – nichts anderes als Erinnerungen im Grunde – sind in Clouds abgelegt. Und die Zukunft der Produktion, zusammengefasst unter dem Begriff »Industrie 4.0«, muss man sich als ein geschlossenes Steuerungssystem vorstellen, das am Ende den Menschen komplett aus der Kommunikation ausschließt.
Auch die großen Fiktionen unserer Zeit beschäftigen sich immer seltener mit ideologischen oder geografischen Konflikten. Im vergangenen Sommer war Dave Eggers' Internetroman »The Circle« – eine zeitgemäße, neoliberal durchflexibilisierte Überwachungsfantasie als Gegenentwurf zu Orwells totalitärem »1984«-Befund – das alle gesellschaftliche Debatten dominierende Kulturthema. Schließlich haben erst kürzlich die Wikileaks- und Snowden-Enthüllungen in aller Schärfe deutlich gemacht, wie systematische Verletzungen der Privatsphäre die Korrosion demokratischer Werte vorantreiben. Der blinde Fortschrittsglaube, das Heilsversprechen der totalen Vernetzung, ist längst in Misstrauen umgeschlagen.
Keine Kinofigur verkörpert die Skepsis dieser neuen Zeitrechnung besser als der Hacker, der digitale Outlaw. Er war der Held der Cyberpunk-Literatur der achtziger Jahre und populärer Filme wie War Games von John Badham, der ihn gegen den militärisch-industriellen Komplex in die Schlacht schickte. Hans-Christian Schmids 23 – Nichts ist so wie es scheint war in seinem Soziotop aus friedensbewegten AKW-Protesten und Kalter-Krieg-Paranoia von dieser politischen Kultur geprägt. Die wahre Geschichte des deutschen Hackers Karl Koch, der 1989 unter mysteriösen Umständen starb, ist noch dem klassischen David-gegen-Goliath-Mythos, Bürger gegen Staat, verhaftet. August Diehl verkörperte ein romantisches Bild vom Hacker, den blassen, introvertierten Informatiker. Dass diese Vorstellung längst der Vergangenheit angehört, darauf lässt nicht zuletzt die Besetzung des Hackers Hathaway in Blackhat mit Chris »Thor« Hemsworth schließen. Auch Baran bo Odars Who Am I – Kein System ist sicher mit dem neuen Hardbody des deutschen Kinos, Elyas M'Barek, weist in diese Richtung. Hacken wird längst nicht mehr ausschließlich als demokratiefördernde Freizeitbeschäftigung betrachtet. Der Figur des Hackers haftet spätestens seit der Einsicht, dass das Sammeln von Privatdaten zum politischen und marktwirtschaftlichen Alltagsgeschäft gehört, etwas Anrüchiges an. Zwischen Karl Koch und Lisbeth Salander aus Stieg Larssons »Millennium«-Romanen liegen Welten.
Salander ist das Postergirl des modernen Cyberthrillers: borderline-soziopathisch, schwer traumatisiert und mit einer großzügigen Auslegung von Recht und Moral. Keine weibliche Identifikationsfigur wie die neuen Heldinnen der Fantasyliteratur und ihrer Kinoadaptionen, sondern ein hochgradig ambivalenter Charakter: die dunkle Ausgeburt der optimistischen Cyberutopien, die sich in den siebziger Jahren einige picklige Jungs in Kalifornien erträumt hatten. »Darf ich ihn töten?«, fragt Rooney Mara in David Finchers US-Remake Verblendung, und in ihrer Stimme klingt eine unterdrückte Lust an, die Aggression, die sich in der Vergangenheit gegen den eigenen, modifizierten Körper richtete, hin und wieder auch an anderen auszuagieren. Für Hackerthriller sind die Lisbeth-Salander-Filme überraschend »non-techie«; sie stehen ganz bewusst im Zeichen des Körpers. Vom Freiheitsversprechen des Cyberspace sind Stieg-Larsson-Verfilmungen denkbar weit entfernt.
Umso erstaunlicher ist andererseits, dass das Kino diesem Paradigmenwechsel ästhetisch weiter hinterherhinkt. Die Möglichkeiten digitaler Technik haben bislang jedenfalls noch nicht die Fantasie der Artdirectors beflügelt. In dieser Hinsicht hat Hollywood gerade ein ernsthaftes Problem, denn unter den technischen Bedingungen moderner »Cyberkriege« entziehen sich die Konfliktlinien zunehmend der physischen Beschreibbarkeit. Die Urkinoerzählung, wie sie seit fast 120 Jahren Gültigkeit besessen hat, basiert auf einer einfachen Formel, zwei Komponenten: Sie handelt von Menschen und Räumen. Der Mensch ist der Akteur, er wirkt als Kraft, die in den Räumen, die die Kamera konstituiert, eine Dynamik herstellt. Die Bewegung in diesem Raum erzeugt also Action. Die Widerstände, die aus dieser Bewegung resultieren, zeichnen die Konfliktlinien. Diese abstrakte Lesart von Handlung und Dramaturgie beschreibt in der Ära des digitalen Kinos in etwa die handwerklichen Grundlagen der grafischen Bildproduktion. In den Multiplexpalästen ist derzeit gut zu beobachten, wie gerne das Kino an dieser Erzählung partizipieren würde, aber noch nach den passenden Bildern für die Schlachtfelder zukünftiger (gesellschaftlicher, kultureller, ökonomischer) Auseinandersetzungen sucht.
Auch Blackhat liefert hier keinen Innovationsschub. Michael Mann war dem Ethos der körperlichen Arbeit ohnehin immer mehr zugetan als den Asymmetrien des information war. Mit Blackhat arbeitet er sich ästhetisch an den filmischen Standards des Hackerthrillers anno 1999 ab: Kamerafahrten über blinkende Schaltkreise, Überwachungsmonitore, grün leuchtende Zahlenkolonnen auf Computerbildschirmen. Auch die Tagline »Our world interconnected« klingt eher nostalgisch als nach einem akuten Bedrohungsszenario.
Man muss sich angesichts des technischen Stands im digitalen Kino – Avatar imaginiert ferne Zivilisationen, Interstellar bereist Wurmlöcher – tatsächlich wundern, wie halbherzig in den letzten Jahren Datenhighways und Computernetzwerke filmisch erschlossen wurden. Während Manns leuchtende Platinenlandschaften zumindest noch eine schlüssige Retroästhetik beschwören, zeigte sich Bill Condon, immerhin der einflussreiche Vordenker der aktuellen Hacker- und Überwachungsdebatten, in Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt, dem Biopic über Julian Assange, nicht einmal interessiert daran, ein ansprechendes Design für »das Netz« zu finden. Bei Condon stehen Benedict Cumberbatch und Daniel Brühl in einem dunklen Großraumbüro voller Computer. So ähnlich dürfte sich auch Angela Merkel vor einigen Jahren noch das Internet vorgestellt haben. Und wenn Brühl am Schluss die Wikileaks-Seite hackt, sieht man Cumberbatch reichlich belämmert in einem Regen von brennenden Papierschnipseln stehen.
Auch das deutsche Kino löst das Bilderproblem nicht eleganter. In Who Am I – Kein System ist sicher treffen sich die Hacker in einem Darknet, das verdächtig an einen U-Bahn-Waggon erinnert. Dagegen wirkte Bruce Willis' Kampf gegen den Cyberterrorismus in Stirb Langsam 4.0 wenigstens erfrischend ehrlich. Regisseur Len Wiseman versuchte gar nicht erst, den Fans weiszumachen, dass John McClane je verstehen würde, wie das mit dem Internet so funktioniert. Im amerikanischen Actionkino wurde der Kampf um den Cyberspace vor wenigen Jahren noch mit Fäusten ausgetragen, und viel weiter ist Hollywood seitdem nicht gekommen.
Dabei ist das Interface nur das eine Problem. Das andere ist ein Mangel an Imagination. Einer der wenigen verständigen Regisseure ist in dieser Hinsicht wohl Joseph Kosinski, dessen Tron: Legacy – das Remake der Mutter aller Hackerfilme – eine ganz neue räumliche Vorstellung entwickelt hat, die nicht zufällig vom Videospiel beeinflusst ist. In seinem Design verbinden sich eine multiple, organische Netzstruktur und ein ausgefeiltes Lichtkonzept, die den alten, eher allegorischen Entwürfen, die ihr Bild vom Cyberspace noch von vertrauten Szenarien herleiteten, in ästhetischer und konzeptueller Hinsicht weit überlegen sind. Natürlich ist der Plot von Tron: Legacy vergessenswert, unter seiner fluoreszierenden Benutzeroberfläche liegt aber ein enormer Erfahrungsschatz verborgen, der dem Kino – jenseits von 3D – perspektivisch ein völlig neues Raumgefühl verleihen könnte. »Biodigital Jazz« nennt Jeff Bridges' Kevin Flynn im Film seinen durchgeknallten Game-Entwurf. So viel Improvisationsfreude würde man dem Subgenre des Cyberthrillers öfter wünschen.
Die ist heute eher im Spielesektor zu finden. Im vergangenen Jahr brachte Ubisoft das lange angekündigte Hacker-Game »Watch Dogs« auf den Markt und bestätigte erneut, dass die großen erzählerischen und ästhetischen Innovationen derzeit nicht aus dem technisch hochgerüsteten Blockbusterkino kommen. »Watch Dogs«, zu dessen Cross-Media-Vermarktungsstrategie natürlich auch ein für dieses Jahr angekündigter Kinofilm gehört, ist eine Art »Grand Theft Auto« für die Lisbeth-Salander-Generation. Die Spieler können sich Hacker-Skills aneignen und dürfen sich auf ihrem Game-Parcours überlegen, ob sie diese für das Gemeinwohl oder doch zum eigenen Vorteil nutzen. Im Onlinemodus können sogar Mitspieler heimlich gehackt werden. Der Hacker also als Testmodell eines entfesselten Ich-Kapitalismus. In der virtuellen Welt verlagert sich das Austesten von Grenzen bereits auf andere gesellschaftliche Felder.
Mit dem Nimbus des Underdogs hat das nicht mehr viel zu tun. Die neue Ambivalenz des Hackers ebnet dafür einer anderen Figur des allgemeinen öffentlichen Interesses den Weg: dem Whistleblower. Ihm hat Michael Mann bereits vor rund 15 Jahren mit Insider ein Denkmal gesetzt. Identitätsstiftend war allerdings auch das nicht. Trotz charismatischer Persönlichkeiten wie Julian Assange und Edward Snowden ist bislang keine Welle von Whistleblower-Filmen in Sicht. Im Kino verfügt der Hacker über mehr Sex-Appeal als ein Angestellter des mittleren Managements – auch wenn man sich vorerst noch mit grün leuchtenden Datenkolonnen auf schwarzen Bildschirmen – Willkommen in der Matrix! – zufriedengeben muss.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns