Zart und stark: Isabelle Carré
Isabelle Carré
Isabelle Carré spielt oft die zu beschützende junge Frau im französischen Kino, mit ihrer großen Rolle als Nonne in DIE SPRACHE DES HERZENS dreht sie das Rollenklischee nun einmal um
Schwester Marguerite ist eine junge, aber weise Lehrerin: Zuerst einmal will sie sich in ihren tauben und blinden Schützling hineinversetzen. Sie lässt sich die Augen verbinden und die Ohren mit zwei Korken zustopfen. Sie hat begriffen, dass den Taubblinden die Welt feindselig und bedrohlich erscheint. Nun will sie sich dem selbst aussetzen. Das ist Spiel und Ernst – und die beste Voraussetzung dafür, dass die beiden Heldinnen von DIE SPRACHE DES HERZENS eine berückend innige Partnerschaft eingehen können.
Der Darstellerin dieser Marguerite ist die Erfahrung der anderen Seite aus früheren Rollen wohlvertraut. In Die anonymen Romantiker spielt Isabelle Carré eine Hochsensible, die es große Überwindung kostet, ein Wort an einen Mitmenschen zu richten, und die auch mal in Ohnmacht fällt, wenn das Gebot der Kommunikation sie überfordert. In Claire – Eine kurze Geschichte vom Vergessen, mit dem sie vor gut einem Jahrzehnt hierzulande erstmals Aufmerksamkeit errang, verkörpert sie eine junge Frau, die an Alzheimer erkrankt. Im fremden Ambiente der Klinik ist sie anfangs ungeheuer verloren. Die Rollen der 1971 in Paris geborenen Schauspielerin Isabelle Carré erzählen oft davon, wie man Mut fassen muss. Man wünscht ihren Figuren einen geschützten Ort, eine Zuflucht (Le Refuge, so heißt Rückkehr ans Meer, ihr Film mit François Ozon, im Original). Ihre zuweilen fast transparent wirkende Haut scheint keine ausreichende Hülle zu bieten. Der Eindruck von Zartheit, den sie erweckt, ist eher ihrem blassen Teint zuzuschreiben als ihrer Statur.
Nicht selten hat man das Gefühl, ihre Charaktere seien ausgesetzt in ihrer jeweiligen Welt. Ihnen ist ein trauriges Schicksal auferlegt wie der verwitweten Mutter in Das Zauberflugzeug. Auf der Bühne feierte Carré einen ihren größten Triumphe in der Titelrolle einer Adaption von Schnitzlers tragischem Fräulein Else. Ihre Einsamkeit lässt ihre Figur in Alain Resnais’ Herzen beinahe verzagen. Die mulmige Wohngemeinschaft, die sie dort mit ihrem viel zu alten Bruder André Dussollier bildet, ist keine Hilfe. Wie viel Kraft mag es sie kosten, abends allein in ein Café zu gehen, um dort die Liebe zu suchen? Mitunter haben Carrés Figuren das Glück, einen verständnisvollen Mann zu finden wie Jacques Gamblin in Bertrand Taverniers Adoptionsdrama Holy Lola.
Aber vielleicht macht man sich um sie auch größere Sorgen, als nötig wäre. Carrés Karriereplanung jedenfalls führt vor Augen, dass die Verletzbare durchaus robust bestehen kann. Mit 15 zog sie von zu Hause fort, nahm Schauspielunterricht und debütierte schon Ende der 80er im Kino. Aus dem Rollenfach der schönen Naiven wuchs sie schnell heraus. Fünf Mal wurde sie insgesamt für den César nominiert, für Claire gewann sie den französischen Filmpreis.
In Claire, dem Alzheimer-Film, entpuppt sie sich letztlich als eine Idealistin der Liebe, die den Kampf um das Glück wagt – zusammen mit einem anderen Alzheimerpatienten. In Noemie Lvovskys Gefühlsverwirrungen scheint ihre Affäre mit Jean-Pierre Bacri die Idylle der generationenübergreifenden nachbarschaftlichen Teilhabe am Leben der anderen zu zerstören. Das ist ein Verrat, aber auch als Hommage an die unverhoffte Macht der Liebe zu lesen.
Ein wohlmeinendes Schicksal lässt sie als Englischlehrerin in Manche mögen’s reich 2006 eine Erbschaft machen, die so erklecklich ist, dass sie aus ihrem Alltagstrott in die glamouröse Welt der Côte d’Azur entkommen kann. Ein wiederum launiges Schicksal lässt sie dort auf den Betrüger José Garcia treffen. Dass die Gefühle hier listig über dessen Täuschungsmanöver triumphieren, ist sicher nicht nur dem Cocktailkleid mit den atemraubenden Spaghettiträgern geschuldet, in dem sie so sexy wie nie zuvor auf der Leinwand aussieht.
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