Kritik zu Revision
Zwanzig Jahre danach: Philip Scheffner rollt den Fall zweier erschossener Roma in einem Feld in Mecklenburg nahe der polnisch-deutschen Grenze neu auf, weniger aus juristischer als aus menschlicher Sicht
Philip Scheffner ist einer der seltenen Dokumentarfilmer, die für die öffentliche Debatte wichtige Stoffe mit einem reflektierten Formbewusstsein zusammenbringen. Wobei der Name seines Verleihers (Real Fiction) fastparadigmatisch für die ebenso unglaubliche wie traurig repräsentative Geschichte stehen könnte, die Scheffner in seinem Film aufdeckt. Eigentlich sind es unterschiedliche Geschichten, je nachdem, mit wem und wann man anfängt. Da sind die Mäher, die vor zwanzig Jahren auf einem brennenden Getreidefeld in der Nähe der deutsch-polnischen Grenze zwei erschossene Männer fanden. Da sind die Männer selbst, rumänische Roma und Familienväter, die ihre Heimat verlassen hatten, um in Deutschland Arbeit zu finden. Da sind zwei Jäger, die die Flüchtigen im Morgengrauen angeblich für Wildschweine gehalten haben. Nach oberflächlichen und schlampigen Ermittlungen wurden sie fast zehn Jahre nach der Tat endgültig freigesprochen. Doch das eigentlich Skandalöse: Die Angehörigen der Opfer wurden über das Verfahren nicht informiert, geschweige denn als Zeugen einvernommen.
Den Part der Behörden hat später der Filmemacher übernommen. Er besuchte die Witwen und ihre Kinder, die der Tod der Ernährer ins Elend gestürzt hat. Er traf sich mit Bekannten von Eudache Calderar und Grigore Velcu, beides geachtete Männer in ihren Gemeinden. Revision zeigt uns die Statements nicht direkt im üblichen Dokustil, sondern spielt die mitgeschnittenen Aussagen den Zeugen zur Bestätigung, Kommentierung oder Korrektur noch einmal vor. Ein genial einfaches Verfahren – und höchst wirkungsvoll, um in dem so geschaffenen reflexiven filmischen Raum die »Betroffenen« aktiv als Koproduzenten in den Film einzubinden. Auch die anderen Beteiligten – u.a. die Mäher, ein Polizist, der Rechtsanwalt eines Beschuldigten – werden von Scheffner befragt, der Tatort wird besichtigt. Klassische Recherchearbeit, nur dass die aufgedeckten Widersprüche und Fragen hier ebenso offenbleiben wie das Ergebnis einer peniblen Rekonstruktion der Lichtverhältnisse zur Tatzeit. Das ist konsequent, für eine kriminalistisch juristische Revision wäre hier der falsche Ort.
Dafür gelingt es Scheffner in seinem Film, die Opfer menschlich-moralisch wieder ins Recht zu setzen. Tausende sind gestorben bei Versuchen, die EU-Außengrenzen zu überwinden, Menschen, die zu oft anonyme Opfer bleiben. Revision gibt einigen von ihnen auch im Licht der deutschen Öffentlichkeit die Souveränität des Handelns zurück. Grigore Velcu nämlich, das erfahren wir auch, der mit seiner Familie als Asylbewerber im mecklenburgischen Gelbensande lebte, war nur deswegen für ein paar Tage nach Rumänien gefahren, um nach mehrmaliger Grabschändung auf dem Gelbensander Friedhof die Überführung des Leichnams seiner Mutter in die Heimat zu regeln.
Nach Halfmoon Files und Der Tag des Spatzen ein neuer, gründlich recherchierter, klug gemachter Film, der uns neben unheimlichen Einblicken ins deutsche Justizwesen zwei gegen ökonomische und behördliche Widrigkeiten um Würde und Anstand kämpfende Romafamilien kennenlernen lässt.
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