Kritik zu The Last Showgirl
Gia Coppola, Francis Fords Enkelin, erzählt in ihrem dritten Spielfilm das letzte Kapitel in der Karriere eines Showgirls in Las Vegas mit Pamela Anderson und ihrer gesamten Lebenserfahrung in der Titelrolle
Shelly, Star der Las-Vegas-Show »Le Razzle Dazzle«, nimmt es nicht ganz so ernst mit der Wahrheit. Als sie nach langer Zeit wieder die demütigende Erfahrung machen muss, für einen Job vorzutanzen, spielt sie verunsichert mit ihrem Alter: zuerst 36, dann (»Ich habe gelogen«) 42. Shelly ist 57. Gia Coppolas Film »The Last Showgirl« erzählt das letzte Kapitel in der Karriere einer Tänzerin, die sich seit 30 Jahren vor Publikum entblößt, aber »Le Razzle Dazzle« als kunstvolle Performance einordnet: mit Pariser Wurzeln, das Revuetheater Lido lässt grüßen.
Der Beginn des Films ist atemlos. Autumn Durald Arkapaws Kamera bewegt sich wie im Rausch, hetzt von Bild zu Bild, um das Backstage-Chaos vor Beginn der Show aufzunehmen. Sprunghafte Dialoge spiegeln die visuelle Unruhe. Gastronomische Details zu Zitronen und Lachs kommen zwischen den Tänzerinnen zur Sprache, aber auch das Alter. Der Film findet erstmals zur Ruhe, als es im Freundinnenkreis persönlich wird und Biografien der Figuren angerissen werden. Shelly (Pamela Anderson) hat eine erwachsene, ihr entfremdete Tochter (Billie Lourd); Annette (Jamie Lee Curtis) hat den Tanz aufgegeben und arbeitet nun als Kellnerin in einem Casino; Jody (Kiernan Shipka) steht am Anfang ihrer Las-Vegas-Laufbahn, Zukunft ungewiss. Als der wortkarge, Shelly zugewandte Produzent Eddie (Dave Bautista) das baldige Ende der Show verkündet, trifft das die versammelten Frauen mit voller Wucht.
Kate Gerstens Drehbuch legt ein fruchtbares Fundament für Hauptdarstellerin Pamela Anderson. Sie ist 57 und kann Lebenserfahrung in ihre Rolle einbringen. Coppola nutzt das Pathos des Persönlichen, aber ihr Film besitzt auch einen universellen Kern und künstlerische Kraft. Shellys Leben nährt sich von Illusionen, vom Glück, auf der Bühne »gesehen« zu werden. Bedroht wird ihre mit Aufnahmen von hellem Licht und Sonnenschein illustrierte Traumwelt von der Angst, mit 57 gleichsam zu verschwinden. Anderson zeichnet, oft in Nahaufnahme, nuanciert das Bild einer widersprüchlichen Frau: egozentrisch und empathisch, zugänglich und abweisend, charmant und aggressiv. Der Kontakt zu ihrer von Lourd mit viel kritischer Energie erfüllten Tochter Hannah konfrontiert sie auf schmerzhafte Weise mit vergangenen Entscheidungen und lange einstudierten Lebenslügen.
Viele Einstellungen des Films erscheinen wie Fotos mit unscharfen Rändern, spiegeln eine wandelbare, unsichere Welt ohne fest umrissene Grenzen. Darin bewegen sich die Figuren wie angeschlagene Kämpfer: Überlebende. Curtis dreht sich einmal im Casino einsam tanzend auf einem Podest zu dem Song »Total Eclipse Of The Heart« von Bonnie Tyler. Die zu Herzen gehende Szene verdoppelt die Wirkung des Liedes: »Every now and then I get a little bit nervous / That the best of all the years have gone by.« Shipkas Jody befindet sich in den ersten Stadien dieser Erkenntnis, aber ihre Augen senden bereits Signale im Panikmodus. Auch für sie erklingt zum Schluss Miley Cyrus' aufbauender Song »Beautiful That Way«.
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