Kritik zu Bolero – Die Entstehung eines Meisterwerks

© X-Verleih

Elegant-betörendes Biopic über die Entstehung des monumentalen Orchesterstücks und seines Schöpfers Maurice Ravel – mit viel Charisma von Raphaël Personnaz verkörpert

Bewertung: 4
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Es ist schon erstaunlich, dass die exzentrische Ida Rubinstein (Jeanne Balibar) ausgerechnet den in sich gefangenen, von Tönen wie besessenen Maurice Ravel (Raphaël Personnaz) mit einem Ballett beauftragt. Sinnlich soll es sein, betörend, erotisch. Eigenschaften, die dem französischen Komponisten (1875 – 1937) eher nicht zugeschrieben werden. Er bestellt sie dann auch prompt in eine Fabrikhalle voller Maschinen, um mit ihr die »mechanische Symphonie« zu erspüren. So erzählt es zumindest Anne Fontaine in ihrem betörenden Biopic »Bolero«. Darin konzentriert sie sich vor allem auf die sechs Jahre von Ravels Prokrastination zwischen Auftragserteilung und Fertigstellung des legendären und heute allzu oft zum Gassenhauer verkommenen Werkes.

Die Regisseurin, die zusammen mit Claire Barré auch das Drehbuch geschrieben hat, porträtiert mit fiktionalen Elementen einen zerbrechlichen, sensiblen Künstler, in dessen Ohren jedes Geräusch zu Musik wird, was ihm nicht nur Anhänger beschert. Auf seiner langen USA-Konzertreise beschreibt er sich einmal selbst als »Schweizer Uhrmacher«. Die reale Sexualität scheint ihm aber eher fremd. Das geht so weit, dass er eine Prostituierte bittet, die Handschuhe seiner treuen Freundin – und Muse – Misia (Doria Tillier) überzustreifen, um das Geräusch des Seidenstoffes zu hören. Sein Verhältnis zu Misia wird nie über wenige Küsse hinausgehen.

Kunstvoll in den altmodisch anmutenden Bildern von Christophe Beaucarne folgt Fontaine dem Leben des Komponisten nicht chronologisch. Auf verschiedenen Zeitebenen, in Rückblenden und Schnipseln, fast wie in dem impressionistischen Stück selbst, fügt sie ein Bild zusammen. Sie erzählt, wie sich Ravel fünfmal um den renommierten Prix de Rome bewarb. Beim letzten Mal stürzt er aus dem Fenster. Seiner Mutter (Anne Alvaro) erzählt er später, dass er sich nicht umbringen wollte, sondern einer orientalischen Melodie im Hof verfallen sei. In Schnipseln erscheint auch seine Zeit als Kraftfahrer im Ersten Weltkrieg, aus dem er zu seiner sterbenden Mutter zurückkehrt. Und da ist immer wieder das Hadern mit dem eigenen Können, der Suche nach der perfekten Melodie – und das alles in einem von Hedonismus, Frivolität und Eskapismus geprägten Umfeld.

Fesselnd ist dabei das charismatische Spiel von Raphaël Personnaz, der dem Komponisten etwas liebenswert Entrücktes und dem Topos des geplagten Genies neue, zurückhaltende Nuancen verleiht – und das bis zu dessen Tod weniger als zehn Jahre nach der Uraufführung von »Bolero«. Knapp zehn Jahre, in denen ihn eine nie näher diagnostizierte neurologische Krankheit noch weiter von der Welt und ihren Menschen entfremdet hat, in der er ohnehin oftmals ein Fremdkörper war.

Am Ende lässt Fontaine das Publikum wissen, dass alle 15 Minuten irgendwo auf der Welt Ravels »Bolero« ertönt. Nachzuprüfen ist das wohl nicht. Ihre sinnlich-elegante Erzählung aber eröffnet tatsächlich einen neuen Zugang zu der oft so überstrapazierten Musik Ravels.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt