Kritik zu Die Unerwünschten – Les Indésirables

© Filmcoopi Zürich

2023
Original-Titel: 
Bâtiment 5
Filmstart in Deutschland: 
06.03.2025
L: 
105 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Ladj Lys zweiter Langfilm ist das Mittelstück einer geplanten Trilogie über die Pariser Banlieue. Er ist zorniger und verzweifelter als sein grandioser Vorgänger

Bewertung: 3
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Nachdem Habys Großmutter gestorben ist, kommt es im Treppenhaus ihres Wohnblocks zu einem bizarren Zwischenfall. Die Bestatter haben einige Mühe, den Sarg würdevoll zu transportieren: Er ist schlicht zu lang für die engen Stiegen. Aber der Fahrstuhl ist schon seit Jahren außer Betrieb. »Wie kann man an einem solchen Ort leben und sterben?«, klagt eine Angehörige.

Haby (Anta Diaw), deren Familie vor Jahrzehnten aus Mali in die Pariser Banlieue kam, kennt die Verhältnisse gut. Sie arbeitet als Archivarin im Rathaus und leitet eine Organisation, die Mieter bei der Wohnungssuche und anderen Problemen unterstützt. Der soziale Brennpunkt, in dem die Familien eine neue Heimat gefunden haben, ist der Stadtverwaltung seit langem ein Dorn im Auge. Die Siedlung soll renoviert werden, was de facto ihren Abriss bedeutet.

Ladj Ly knüpft in seinem zweiten Langfilm entschlossen an sein Debüt »Die Wütenden – Les misérables« an. Darin bewies er fulminant, dass erzählerische Originalität und Fantasie sich mit einem unerbittlichen Blick auf die soziale Misere vertragen können. Diese innere Freiheit erringt der Nachfolger nie. Er ist bekümmerter, stets könnte die Handlung umkippen in eine Katastrophe.

Als der amtierende Bürgermeister bei der feierlichen Sprengung eines Wohnblocks einem Herzinfarkt erliegt (ein Moment unfreiwilliger Komik), muss die Partei rasch Ersatz finden. Die Wahl fällt nicht auf den Vizebürgermeister (Steve Tentchieu), sondern den Kinderarzt Pierre (Alexis Manenti, Hauptdarsteller und Co-Autor von Die Wütenden). Ein, zwei Minuten lang könnte man ihn für einen unerfahrenen Idealisten halten, dem die Dinge über den Kopf wachsen werden. Im Gegensatz zu seinem Rivalen, der einen Draht zu den Bürgern hat, ist ihm die Gemeinde fremd. Aber er hat zwei Vorbilder: Macron (der sich auf Repräsentation versteht) und Sarkozy (der die Vorstädte mit dem Kärcher säubern wollte). Rasch geht er auf Konfrontationskurs mit den Bewohnern der »zehnstöckigen Favelas« und setzt auf Polizeigewalt. Die Situation eskaliert, als in Habys Gebäude ein Feuer ausbricht und es unter dem Vorwand der Notevakuierung geräumt wird. Derweil entscheidet sie sich, bei der anstehenden Wahl für das Bürgermeisteramt zu kandidieren.

Ly zeichnet das Bild einer tiefen Entfremdung zwischen politischer Kaste und den Bedürfnissen der Bürger. Schon anhand der Architektur zeigt er dieses Schisma klug auf: Die Neubauten sollen aus Zwei-Zimmer-Apartments bestehen, während die angestammten Bewohner seit Generationen in Großfamilien leben. Die Art, in der sich dieses Gemeinwesen organisiert – durchaus in der Tradition der nordafrikanischen Herkunft, wo es einen »Weisen« gibt, der Achtung genießt –, erscheint als eine Parallelgesellschaft, die durch Solidarität legitimiert ist. Deren Bedrohung schlägt zusehends allegorische Volten. Im Finale kämpft Habys Freund mit einem Geflüchteten aus Syrien, als dessen weltoffener Gastgeber sich der Bürgermeister präsentiert. Jeder hat seine Gründe, aber keiner hat Recht. 

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