Nachruf: Karin Baal

Souverän und ungezähmt
Karin Baal. Foto: Matthias Nareyek / Getty Images

Karin Baal. Foto: Matthias Nareyek / Getty Images

19. 09. 1940 – 26. 11. 2024

Hätte sie nur diesen einen Film gedreht, hätte das schon gereicht, sich ihren Namen zu merken: »Die Halbstarken« (1956) Mitte der achtziger Jahre in einem Kino in Berlin-Wedding zu sehen, war für mich ein filmisches Erweckungserlebnis – Gegenentwurf zum bundesrepublikanischen Kino der fünfziger Jahre mit seinen Ärzten, Förstern, Schlagersängern und gekrönten Häuptern.

Karin Baal sieht man das erste Mal in einem Schwimmbad, wenn Horst Buchholz als Freddy besitzergreifend seinen Fuß auf ihren Rücken setzt und sie seinem Bruder vorstellt: »Sissy ist 'ne Wolke, 'ne Atomwolke« – was sie mit einem skeptischen Blick quittiert. Am Ende beim Einbruch in eine Villa wird sie Freddy auffordern, den plötzlich aufgewachten Vater des Besitzers zu erschießen. Als der dazu nicht in der Lage ist, ergreift sie die Pistole und drückt selbst ab. Eine wahre femme fatale, somit auch ein Gegenentwurf zum männlichen Protagonisten, dessen Stärke sich als gespielt erweist. 

Karin Blauermel (so ihr Geburtsname) dagegen kam an ihre Rolle als eine von 700 Bewerberinnen, die Endausscheidung überließ der findige Drehbuchautor Will Tremper einem jugendlichen Publikum. Leider reichten die damaligen Filme von Tressler und Tremper hierzulande nicht für eine junge Welle des genreorientierten Films. Für Baal blieben in den nachfolgenden Jahren neben Variationen der delinquenten Persona, in denen sie immerhin eine gewisse Souveränität bewahren konnte, nur stereotype Parts in Edgar-Wallace- und Schlagerfilmen (»Blond muss man sein auf Capri«). Es sollte viele Jahre dauern, bis Ula Stöckl (»Erikas Leidenschaften«, 1976) und Vadim Glowna (»Desperado City«, 1981) ihre Qualitäten wiederentdeckten. 

Zu Glownas Film schrieb damals Hans C. Blumenberg: »Ich sehe ein Gesicht, das schon viel gesehen hat, sehe eine gewisse Müdigkeit, sehe eine Kraft, die lange gereicht hat und dünner geworden ist, eine große Beherrschung.« »Ungezähmt« nannte sie ihre 2012 erschienenen Erinnerungen, einen freimütigen Lebensbericht. 

Wenige Wochen vor ihrem Tod habe ich Karin Baal auf der Leinwand wiedergesehen, in dem 2002 an der dffb entstandenen zehnminütigen »Kehrwoche« von Kerstin Ahlrichs verkörpert sie eine Frau, die von anderen Mietern in ihrem Altbau gemobbt wird – und am Ende zu einer drastischen Maßnahme greift. Der stille Triumph in ihrem Gesicht dabei knüpft direkt an »Die Halbstarken« an.

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