Netflix: »Drei Töchter«

englisch © Netflix

Schwestern unter sich

Ein Apartment in New York City, hinter einer verschlossenen Tür liegt ein alter Mann und wartet auf den Tod. Das Ringen mit dem Krebs ist nicht mehr zu gewinnen, Wiederbelebungsversuche nicht erwünscht und während gelegentlich die Hospizpflege vorbeischaut, warten seine drei erwachsenen Töchter auf den Moment des Abschieds. Katie (Carrie Coon), die Älteste, wohnt mit ihrer Familie eigentlich nicht weit und war zuletzt trotzdem kaum präsent, Christina (Elizabeth Olsen), die Jüngste, lebt mit Mann und Tochter etliche Flugstunden entfernt. Und Rachel (Natasha Lyonne), die biologisch gar nicht mit den beiden anderen verwandt ist, aber trotzdem mit ihnen groß wurde, ist eigentlich als Einzige noch mit dem Vater unter einem Dach zu Hause.

Gäbe es das – thematisch völlig woanders zu verortende – Stück »Drei Schwestern« von Tschechow nicht, hätte Azazel Jacobs seinen neuen Film vermutlich genau so genannt. Viel wichtiger nämlich als das Tochter-Sein oder der Vater selbst, der in »Drei Töchter« bis kurz vor Schluss nicht einmal im Bild zu sehen ist, ist in dieser Geschichte die schwesterliche Verbindung der drei Protagonistinnen. Was natürlich nicht heißt, dass eben jene in diesem Fall sonderlich innig wäre. Im Gegenteil: dass die drei seit langen Jahren keine wirkliche Beziehung miteinander haben und nicht nur, was den Umgang mit dem bevorstehenden Tod des Vaters angeht, höchst unterschiedlich sind, führt schnell zu tiefgehenden Reibereien.

Wie schon in seinem vorherigen Film »French Exit« konzentriert sich Regisseur und Drehbuchautor Jacobs auf eine Wohnung und deren unmittelbare Umgebung als Setting. Der enge Raum, aus dem es kaum Entkommen gibt, macht Konfrontationen unausweichlich, zwischen den Schwestern ebenso wie mit den je eigenen Emotionen und Gedanken, die sowohl hinsichtlich der familiären Vergangenheit als auch der unmittelbaren, bitteren Realität auf der anderen Seite der väterlichen Schlafzimmertür lauern.

Auch ohne Tschechow-Bezug bekommt »Drei Töchter« dadurch etwas Theatrales, was in Kombination mit dem Mangel an Handlung und der Dialoglastigkeit des Ganzen durchaus spröde, wenn nicht sogar öde hätte werden können.

Dass dem nicht so ist, liegt nicht nur daran, dass Jacobs der Versuchung widersteht, in den Eskalationen genauso wie in den kathartischen Momenten auf das jeweils Naheliegendste zu verzichten. Sondern vor allem an der Tatsache, dass er es aufs Hervorragendste versteht, den Menschen vor seiner Kamera eine Bühne zu bereiten. Nach Michelle Pfeiffer in »French Exit« lässt er hier nun gleich drei Schauspielerinnen antreten, die ähnlich wie die Schwestern, die sie spielen, durchaus sehr verschieden sind. Gerade aus dieser Gegensätzlichkeit aber gewinnt ihre Dynamik ihren Reiz, und weil Carrie Coon, Natasha Lyonne und Elizabeth Olsen darstellerisch alle auf einem ähnlichen, ungemein hohen Niveau agieren, wird »Drei Töchter« zum filmischen Ereignis für alle, denen Schauspielkunst der Extraklasse als Schauwert genügt.

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