Interview: Doris Metz über »Petra Kelly – Act Now!«

»Petra Kelly – Act Now!« (2024). © Archiv Grünes Gedächtnis der Heinrich-Böll-Stiftung e.V.

»Petra Kelly – Act Now!« (2024). © Archiv Grünes Gedächtnis der Heinrich-Böll-Stiftung e.V.

Frau Metz, was war Ihr Ausgangspunkt, gerade jetzt einen Film über Petra Kelly zu machen?

Petra Kelly spielte für meine eigene politische Sozialisation eine große Rolle. 1982 kandidierte sie in meiner Heimat, dem Allgäu, erstmals für die Grünen für den Bayerischen Landtag in Franz-Josef Strauss` Atomstaat Bayern. Petra Kelly war jung, frech, mutig, leidenschaftlich und unbeirrbar, dachte in globalen Zusammenhängen und für sie hing alles zusammen: Umwelt, Frieden, Frauen- und Menschenrechtsfragen. Sie verkörperte eine Utopie, wie man anders Politik machen kann. Sie war ihrer Zeit weit voraus. Sie war eine politische Hoffnungsfigur - gerade für uns junge Frauen.

Als ich am Rande einer 'Fridays for Future'-Demos eine Gruppe junger Aktivistinnen über Petra Kelly sprechen hörte, dachte ich zunächst, habe ich jetzt Halluzinationen, oder reden die wirklich von ihr? Das war der Funke, den es für mich gebraucht hat, ich wusste plötzlich, jetzt ist die Zeit gekommen, Petra Kelly endlich aus der Vergessenheit zurück ins Leben zu holen. Alles wofür sie stand, ist heute erschreckend aktuell.

Ich denke, wenn sie jetzt noch leben würde, wäre sie eher bei Fridays for Future als bei den Grünen.

Ihr Credo war immer die Zivilgesellschaft. Sie glaubte daran, dass die Transformation der Gesellschaft nur möglich ist, wenn jeder einzelne sich einbringt. Das brachte sie aus ihren Erfahrungen mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung mit. Die Umweltbewegung, die Anti-Atomkraftbewegung hat die Grünen 1983 in den Bundestag getragen, für Petra Kelly war das ein Versprechen. Sie ging davon aus, dass die Grünen nach dem Einzug in den Bundestag weiterhin parallel zur institutionellen Arbeit auch auf der Straße aktiv blieben, auf Aktionen setzen würden. Das war eine große Enttäuschung für sie, dass viele Fraktionskolleg:innen das schnell vergaßen. Sie blieb im Herzen immer Aktivistin.

Das kommt im Film zweimal vor, dass sie sagt, mit Parteien sei das nicht so ihre Sache.

Das war für sie eine Notlösung, sie sagt ja auch im Film, sie würde Parteien hassen. Als NGO, als Gruppe wie etwa Greenpeace, hätten sie aber nicht kandidieren können. Sie hat damals den Begriff der 'Antiparteienpartei' geprägt, was diesen Widerspruch zum Ausdruck brachte. Der große zivilgesellschaftliche Aufbruch hat sie sicherlich mehr interessiert als enge Parteikonstellationen - und dann noch engere in Macht- und Regierungskonstellation. Aber die Meinungen gehen auseinander: wäre sie heute an der Spitze der UN oder wäre sie bei den Klimaklebern? Letztlich ist das aber ahistorisch gedacht und nicht zu beantworten.

Konnten Sie jetzt für Ihre Recherchen auf ein Archiv, auf ihren Nachlass zurückgreifen?

Ihr politischer Nachlass liegt heute im Archiv Grünes Gedächtnis der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Um ihren Nachlass gab es ein langes Ringen. Nachdem die Grünen 1990 aus dem Bundestag geflogen waren, musste man völlig unvorbereitet mit allem irgendwohin. Petra Kelly war ihr Archiv immer sehr wichtig, es gab ja noch kein Internet, das darf man nicht vergessen. Das Archiv war für sie unabdingbar für ihre politische Arbeit. Sie hat das dann zunächst bei einer Spedition, dann in einer Scheune in der Nähe von Bonn untergebracht. Das musste sie aber selber bezahlen. In der Gründungsphase der Stiftungen kämpfte sie dafür, dass die Heinrich-Böll-Stiftung die Kosten trägt. Lange Jahre nach ihrem Tod hat sich die Familie und ein Freundeskreis darum gekümmert, es dauerte dann noch ein paar Jahre, bis ihr Nachlass an die Stiftung übergeben wurde. Im Archiv Grünes Gedächtnis ist es heute das größte Einzelarchiv, das alles andere vom Umfang her (150 Regalmeter) fast sprengt.

Inwieweit ist das erschlossen?

Es ist wenig bis fast nichts digital erschlossen. Ich habe Wochen meines Lebens damit verbracht, durch die Mappen zu gehen. Ich hatte das Glück, dass ein Archivar, der das schon zu Petra Kellys Lebzeiten betreut hatte und der jetzt im Ruhestand ist, mir sehr geholfen hat, die wirklich wichtigen Dinge aufzuspüren. In diesen gigantischen Mengen etwas zu finden, war nicht einfach. Das betrifft auch die Spur der Bedrohung. Es gab zunächst nur wenige Hinweise, dass sie damals von einer rechtsextremen Organisation, nämlich der von Lyndon LaRouche, bedroht wurde. Die Dimension der Bedrohung weltweit hat mich erschüttert.

Das war der Ehemann von Helga Zapp-LaRouche, die damals in Deutschland auf Wahlplakaten zu sehen war?

Die LaRouche Organisation trat in Deutschland als EAP (Europäische Arbeiterpartei) zu Wahlen an. Die hat man damals eher als Sekte, als etwas Abstruses, aber nicht wirklich als Bedrohung wahrgenommen. Lyndon LaRouche war so etwas wie ein Vorgänger im Geiste von Trump, er hat zweimal erfolglos als amerikanischer Präsident kandidiert, landete dann irgendwann im Gefängnis.
Mir ging es um die Anbindung: was verbindet Petra Kelly mit dem Heute? Als ich anfing, dachte ich, das Abschalten des letzten deutschen AKWs könnte eine Erzähl-Klammer sein, aber danach kam es immer härter: die Ukraine, die ganze Diskussion über Krieg und Frieden. Die Gegenwart ist ja auch ein Echoraum, man spürt daran, wie sehr man die historische Figur im Heute spiegeln für Jüngere kann. Denn nur dann macht für mich so ein aufwändiger Kinodokumentarfilm Sinn.
Petra Kelly hat ja als erste Frau den Alternativen Nobelpreis bekommen, das hat Luisa Neubauer auf sie aufmerksam gemacht, wie sie im Film erzählt. Für mich machte es nur Sinn, wenn man nicht eine abgehangene museale Figur erzählt. Da Petra Kelly seit 30 Jahren tot ist, brauchte ich das Vertrauen von befreundeten Weggefährten wie z.B. Lukas Beckmann, Otto Schily, Eva Quistorp und ihrem Bruder John, um sie in die Gegenwart zu holen.

Mir fiel auf, dass die jetzige Grünen-Spitze im Film gar nicht vertreten ist.

Je länger ich recherchierte, desto mehr wurde es für mich zu einem Farbspektrum. Und Petra Kellys Farbspektrum ist international: deutsche Grüne als Weggefährten, dann das Internationale, es gibt die indigene Bewegung, die ganze Menschenrechtsfrage - und es gibt diese ganze Ost-West-Geschichte mit den Bürgerrechtlern in der ehemaligen DDR. Dann habe ich das erst einmal mit den Protagonist:innen ausgelotet: wer lebt, wer würde wirklich etwas zu sagen haben? Wer war ihr wirklich nah, führt ins Innere der Figur? Die jetzige grüne Regierung war mir da nicht so wichtig, die haben ihre eigene Agenda und es ist eine andere neue Generation. Joschka Fischer wäre natürlich interessant gewesen, weil er machtpolitisch auch ein Stück weit ihr Gegenspieler war. Da habe ich schon hart gerungen, aber er hat mit den Grünen abgeschlossen und wollte sich nicht äußern.

Mich hätte interessiert, wie die Grünen heute zu ihr stehen – ob sie sagen, das ist Vergangenheit oder aber: das ist jemand, dem wir Unrecht getan haben.

Sie war immer unbequem und sicher nervig in ihrer Unbeirrbarkeit. Sie machte nicht einfach Kompromisse oder Winkelzüge mit. Ich wollte nicht die kleineren Rochaden innerhalb der Partei, wer wen wann irgendwie »totmacht«, erzählen. Den innerparteilichen Streit um die Rotation bzw. Nicht-Rotation von Petra Kelly nochmals wiederkäuen. Das konnte für mich nicht der filmische Pfad sein. Da gibt es natürlich verschiedene Blickwinkel auf das Scheitern der Grünen nach dem Mauerfall, aber am Ende des Tages haben sie alle verloren, als sie 1990 aus dem Bundestag flogen. Petra Kelly war innerparteilich auch deshalb lästig, weil dem damals noch sehr starken linken Flügel ihre ständige Handreichung zu den Bürgerrechtlern nicht gefiel. Dirk Schneider, AL-Abgeordneter, damals bei ihrem Besuch bei Honecker dabei (das ist der Bärtige mit der Rolle in der Hand), wurde noch zu Kellys Lebzeiten, ein paar Monate vor ihrem Tod, als Stasi-Spitzel enttarnt. Die Grünen haben später eine große Aufarbeitung zum Thema Stasi gemacht. Da habe ich noch einmal im Detail begriffen, was für eine andere politische Agenda Petra Kelly hatte. Petra Kellys Glauben war, dass man mit den Bürgerrechtlern zusammenarbeiten, die Opposition in der DDR unterstützen muss - die anderen glaubten noch an den Sozialismus. Ihr Styling fanden die einen spießig (»Rüschenblusen, das geht ja gar nicht«) – aber politisch war sie total straight, ihr Credo war: wir müssen uns selbst mehr riskieren. Das lag irgendwann total quer zu der politischen Agenda der Grünen. Da hat sie nie nachgegeben, ihr war alles immer zu wenig. Auch ihre Internationalität wurde damals von der deutschen Grünen Partei nicht verstanden. Ich habe Briefe gefunden, wo es etwa abschätzig heißt, »Ach, die Petra war wieder auf einer vierwöchigen Urlaubsreise in Australien«. Dann habe ich mal die Agenda angeschaut, was sie da in den vier Wochen gemacht hat: viele Vorträge, Reden, Talkshows, Treffen mit den australischen Grünen, Treffen mit der Transportarbeitergewerkschaft, Demos, Aktionen mit Indigenen gegen Uranabbau. Ihr Terminkalender war randvoll, sie reiste immer mit Koffern voller Material und Unterlagen für die grüne Bewegung.

Das war für mich neu: dass sie sehr viel im Ausland war. Es gibt ja viele Reden außerhalb Deutschlands zu sehen, auch viele Auftritte in Talkshows.

Petra Kelly war eine große Frauenfigur der Zeitgeschichte und sie war eine wichtige internationale Persönlichkeit, das TIME Magazine zählte sie zu den 1000 wichtigsten Figuren des 20. Jahrhunderts. Petra Kelly in eine deutsche Schublade zu stecken macht keinen Sinn.

Für die ausländische Presse war sie auch in Bonn sehr interessant, weil sie perfekt Englisch sprach, international dachte und eine analytisch kluge, rhetorisch starke und zugleich charismatische Interviewpartnerin war. Für die Partei war die vielgefragte Kelly deshalb der blöde Promi – und Promis wollte man damals nicht. Diesen Hass hat Joseph Beuys als erster zu spüren bekommen, er wurde von den NRW-Leuten für die Bundestagswahl nicht mehr nominiert. Er war der Promi, sie war Promi, der dritte war Schily als RAF-Anwalt. Es gab damals bei den Grünen einen ganz starken egalitären Ansatz, 'wir sind alle gleich, jeder kann jeden ersetzen.' Deshalb auch die Idee mit der Rotation.

Sie haben schon die Stasi erwähnt. Was ist mit den Stasi-Akten von Gerd Bastian? Wird man noch mal klären, ob die Stasi ihn als Trojanisches Pferd benutzt hat?

Im Stasi-Unterlagen-Archiv findet man viele Aktenordner voll mit Unterlagen zu Kelly und Bastian, ihre Codenamen waren »Pute 1 und Pute 2«. Es sind aber ausschließlich Überwachungs- und Beobachtungsprotokolle, also wenn Petra Kelly und Bastian in die DDR eingereist sind: wen sie da wann wo getroffen haben, was sie im Gepäck hatten, worüber gesprochen wurde. Alles wurde abgeschöpft, jeder Schritt bespitzelt. Die wichtigen Akten der HVA, der Auslandsaufklärung der DDR, jedoch fehlen: Von der Akte Bastian gibt es nur noch das Deckblatt. Das sind diese berühmten Karteikarten, da steht zwar drin, ab wann man den auf dem Schirm hatte, aber Du weißt nicht: ist das eine Opfer- oder eine Täterakte? Alles, was dahinter war, ist weg, wurde vernichtet. Wie wichtig Gert Bastian war, das erkennt man auch daran, wo die Durchschläge der systematischen Überwachung bei allen Aufenthalten in der DDR hingingen: die gingen auch zum Politbüro und zum KGB. Gert Bastian war für die natürlich interessant, weil er Ex-NATO-General war und für die Grünen im Verteidigungsausschuss saß. Er war Mitglied der »Generäle für den Frieden«, einer Gruppe von Ex-Generälen aus dem Westen, die gegen die Nato-Nachrüstung agitierten. Heute weiß man, dass die Gruppe vom KGB finanziert wurde. Ob und was für ein trojanisches Pferd er genau war, weiß man aber bis heute nicht.

Es gibt aber, das habe ich für den Film genau recherchiert, im Zusammenhang mit dem Mord an tra Kelly und dem Selbstmord von Gert Bastian eine Motivkette: Petra Kelly hat ab Dezember 1991 versucht, ihre Stasi-Akten einzusehen und Gerd Bastian quasi gezwungen, das für sich auch zu tun. Er hat das über ein halbes Jahr lang sabotiert, indem er bestimmte Sachen nicht eingereicht hat. Er war ja auch eine Art Sekretär von ihr und hat den Schriftverkehr erledigt. Die Grünen/Bündnis 90 hatten damals großes Interesse an den Akten, denn sie wollten die Listen für die Bundestagswahl 1994 aufstellen und hatten beschlossen, Beckmann, Kelly und Bastian vorrangig prüfen zu lassen, weil die so viel in der DDR waren - damit man da keinen politischen Fehler macht, weil gerade so viele IMs ausgehoben wurden. Die Grünen pushten das, damit das jetzt endlich auf den Weg gebracht werden konnte. Nur für die drei Grünen, denn die DDR-Bürgerrechtler sollten natürlich Vorrang haben für die Akten-Einsichtnahme. Und das mit den Stasi-Akten ging bis zum letzten Telefonat von Bastian mit Lukas Beckmann am 1. Oktober 1992: »Bringst Du bitte bis soundsoviel Uhr die fehlenden Unterschriften im Büro vorbei?!« Bastian hatte keinen Spielraum mehr. Dann waren sie plötzlich tot. Zeitzeugen sprechen über viele Streitgespräche über Stasiakten. Motivisch gibt es nur den Grund: er wollte nicht, dass sie Einblick nahm. Was genau er fürchtete, bleibt offen und ist Spekulation.  

Lukas Beckmann sagt gegen Schluss des Films im Hinblick darauf, dass die Gedenkfeier für Kelly und Bastian war, das würde er heute als Fehler ansehen. Ist das in der Partei noch mal zur Sprache gekommen?

Das weiß ich nicht. Dass Lukas Beckmann das im Film heute sagt, zeugt für mich von Größe. Die politische Gedenkfeier in der Beethoven-Halle hätte es sicher so nicht geben dürfen. Wer bestattet schon Opfer und Mörder gemeinsam und huldigt beiden? Das ist absurd. Die Grünen wussten damals schon, dass Petra Kelly umgebracht wurde, dass sie im Schlaf erschossen worden ist. Es war die erste Nachrichtenmeldung, die die Spekulation mit Doppelselbstmord in die Welt brachte, danach hat die Kripo das sofort revidiert. Das ist sicher auch ein Grund, dass man bei den Grünen da lange nicht öffentlich drüber sprach, das Ganze ist ja mehr als unangenehm. Man kehrt ja gern mal etwas unter den Tisch, wo man weiß, man hat Fehler gemacht. Man begriff wohl auch nach ihrem Tod, dass man Petra Kelly vielleicht hätte anders behandeln müssen. Ich meine, jeder fünftklassige Politiker bekommt dann irgendein Amt, in einer Stiftung oder sonstwo – und die Grünen haben sie einfach im Regen stehen lassen. Alle waren damals sicher überfordert, sie waren raus aus dem Bundestag und jeder schaute, wie er überlebte. Mich interessierte das Leben von Petra Kelly, sie war eine große politische Hoffnungsfigur – und leider ist über Jahrzehnte immer nur wieder über ihren Tod gesprochen worden. Damit hat man sie doppelt zum Opfer gemacht. Ich hoffe, dass mein Film sie in die Gegenwart und ins Leben zurückholt.

Das kommt bei Ihnen ja auch vor: dass die Todesumstände gewissermaßen ihr ganzes Leben überdeckt haben.

Das wollte ich unbedingt korrigieren. Sie ist eine der wirkmächtigsten politischen Figuren der Zeitgeschichte gewesen mit ihrem Charisma. Sie hatte das Talent, Menschen dazu zu bringen, sich zu engagieren. Sie erinnert uns daran, wozu Politik fähig sein könnte – und was die Aufgabe von Politik ist.

Das war so ein Impetus, der manchmal als »missionarisches Auftreten« abgekanzelt wurde, wie es einmal eine Journalistin in Ihrem Film ausdrückt.

Woher das bei ihr genau kam, das wollte ich filmisch herausdestillieren. Ihre Politik erwuchs aus ihrem Leben und ihren Erfahrungen. Deshalb waren für mich ihre amerikanischen Wurzeln so entscheidend, um Petra Kelly besser zu verstehen. Damals gab es noch Atomwaffentests in den USA, sie war bereits1976 das erste Mal in Hiroshima, hat dort dieses Leiden gesehen und das verknüpft mit dem Leiden ihrer Schwester, die mit neun Jahren an Augenkrebs gestorben ist. All diese Erfahrungen ließen sie so brennen. Für andere wirkt das manchmal wie ein übertriebenes Eifern, aber sie hätte gar nicht anders gekonnt. Sie wollte wirklich Politik für Menschen machen und etwas verändern, den Planeten retten. Damals waren die meisten Bürgerinitiativen gegen das Atomkraftwerk vor der Haustür – sie wollte politisch mehr. Sie hat alles zusammen gedacht, die ganze Atom-Kette vom Uranabbau über die schnellen Brüter, die WAAs bis hin zur militärischen Nutzung, zur Atombombe. Und sie wollte einen Zusammenschluss aller Kräfte von der japanischen NGO Gensuikin bis zu den Lakota in Amerika und den atomkritischen Gewerkschaften in Australien und den Wyhler Winzern. Sie war eine frühe Netzwerkerin über die Kontinente. Es gab kein Internet damals und keine e-mail, also alles ging langsam - Telegramm, Telefax, das Telefonieren war alptraummäßig teuer. Also: die Leute nach Europa herholen für internationale Treffen – und das finanziert kriegen. Ihr Denken war immer größer, immer globaler und das ist das, wo sich die jungen Aktivisten heute andocken, für die das Internet eine Selbstverständlichkeit ist. Sie war nicht nur gegen zivile Nutzung von Atomenergie, sondern es ging ihr auch um atomare Rüstung – sie und die damaligen Grünen haben immer wieder – 'lästigerweise' – nachgebohrt, in offiziellen Anfragen an die Regierung gefragt: wohin gehen deutsche Rüstungsexporte? Alle ihre Themen sind heute erschreckend aktuell.
Tibet habe ich im Film leider rauslassen müssen, denn auch die ersten Tibet-Anfragen im Bundestag hat Petra Kelly gestellt – das hat sie geschafft überfraktionell. Das war alles schon da, es ging ihr um Menschenrechte. Und dem stehen heute wie damals Wirtschaftsinteressen im Weg und gute Beziehungen zu China.

Sie haben sich ja auch auf wenige Gesprächspartner konzentriert, die dafür ausführlicher zu Wort kommen. Mussten Sie irgendwann überlegen, wen Sie weglassen?

Es war ein bewusstes Konzept, sich auf wenige Zeitzeugen zu konzentrieren, die für Petra Kellys internationales Leben stehen. Wenn ich die Chance habe, mit Fördergeldern einen Kinodokumentarfilm zu drehen, möchte ich anders arbeiten. Ich glaube es zahlt sich aus, Gesprächspartnern im Film Zeit zu geben. Es geht darum, dass Du in langen Interviews etwas herausmeißelst und Menschen sich öffnen. John Kelly z.B. hat noch nie mit jemandem gesprochen, der ist immer noch »verwundet«, der misstraut den Medien, denn nach Petras Tod ist über die Familie ein Alptraum hereingebrochen. Bei meinen Recherchen wurde mir erst klar, wie wichtig für Petra Kelly ihre Familie war. Es war ein Glücksfall, dass er nach langem Zögern eingewilligt hat, mitzuwirken in dem Film.
Wir haben nur zwei Zeitzeugen mehr gedreht als am Ende im Film sind. Das ist immer eine sehr schwierige Entscheidung im Schnitt. Aber der Film weist einem letztlich den Weg.  

Sehr schön sind ja auch die home movies...

Das Super8-Material war ein Glücksfall. Dadurch konnte ich ein ganz anderes vollständigeres Bild von Petra Kelly zeigen. Diese persönlichen Aufnahmen zeigen ihre Lebensfreude, ihre menschliche Empathiefähigkeit. Petra Kelly war nicht nur eine Getriebene. Und die Super8-Aufnahmen zeigen ihren Blick auf die Welt, es ist ihre Perspektive, eine Art Innenperspektive, die das professionelle Archivmaterial in seiner Außenansicht wunderbar ergänzt.

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