Kritik zu Geron
Nicht nur Freundschaft und Liebe, sondern auch deftiger Sex bestimmt die Beziehung zwischen dem 18-jährigen Lake und dem 81-jährigen Mr. Peabody. Ein gerontophiles Melo von Bruce LaBruce, in dem Melancholie und Lust eins werden
Der 18-jährige Lake (Pier-Gabriel Lajoie) ist ein verquerer, beinahe unschuldiger Grenzgänger der Begierde. Lake trägt ein Kettchen mit einem goldenen Kreuz um den Hals, und seine Mutter, eine schöne, angeschlagene Nymphomanin und Trinkerin, heißt vielleicht nicht umsonst Marie. Dieser Lake könnte also ein Heiliger sein, ein Erlöser mit schmutzigen Gedanken. Denn er ist fasziniert, gerade auf erotische Weise, von richtig alten Männern. Als er im Schwimmbad, bei seiner Arbeit als Rettungsschwimmer, einen verunglückten alten Mann durch Mund-zu-Mund-Beatmung wiederbelebt, bekommt er eine Erektion. Dagegen lassen ihn die Küsse seiner Freundin Desirée relativ kalt. Lake ist, wie auch bald die wilde Desirée erkennt, ein ganz und gar anderer. Einer, der gegen jeden Strom schwimmt, ein Märchenprinz des queer cinema, der das Gute und das Schöne und eine rebellische Sexualität auf lockere – beinahe möchte man sagen: natürliche – Weise fusioniert.
Der Kanadier Bruce LaBruce, der sich in Filmen wie Hustler White und Otto; Or, Up with Dead People gern der Genre-, Trash- und Hardcore-Ästhetik bedient hat, hält sich hier in seinem neuen Film spürbar zurück. Mit überraschender Subtilität hat LaBruce Geron inszeniert. Als ob das Sujet der Gerontophilie schon allein genügend Radikalität in sich birgt. An Märchen und den filmischen fairy tales, wie sie Jean Cocteau und vor allem Jaques Demy hervorgebracht haben, orientiert sich La- Bruce, und an den fabelhaft schrägen Filmen des neueren kanadischen Kinos von Denis Villeneuve oder Patricia Rozema.
Lake lernt im Altersheim seiner kanadischen Heimatstadt, wo er gerade als Pflegehelfer zu arbeiten begonnen hat, den alten, farbigen Melvin (Walter Borden) kennen. Lake ist 18. Melvin 81 – verdrehte Zahlen, ein Spiel mit dem Schicksal: Der eine war, was der andere sein wird. Lake hebelt schnell den Heimalltag aus, heimlich setzt er Melvins Psychopharmaka ab. Und so entdeckt der bettlägrige Alte bald die Lebenslust wieder. Nackt spielen die beiden in Melvins Zimmer »Gin Rummy«: Ein immer heftigeres Sex-Play nimmt seinen Lauf zwischen dem staunenden Lake und dem charmanten Alten, der ein langes, schwieriges schwules Leben hinter sich hat. Ein Liebes- und Sexspiel, das die Schönheit des Alters zelebriert, auch als Rebellion gegen gesellschaftliche Tabus und den unerbittlichen Lauf der Zeit.
Als ein gehässiger Pfleger dem Treiben auf die Spur kommt, flüchten Lake und Melvin aus dem Heim. Sie unternehmen einen letzten Trip, eine Fahrt in einem alten Straßenkreuzer Richtung Pazifik. Die magical mystery tour des ungleichen Paares führt durch Bars und Motels. Eine irrwitzige Liebe auf der Flucht: Komik mischt sich zwischen die Sehnsucht und Melancholie dieser schrägen Amour fou. Lake ist plötzlich eifersüchtig auf den Alten, der noch einige Chancen in der Männerwelt hat. Doch irgendwann tanzen sie eng umschlungen im roten Dämmerlicht. Ein Moment der Ewigkeit in LaBruces kleinem, poetischem und schmutzigem Film über eine wahre Twilight-Liebe.
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