Interview: Tilman Singer über »Cuckoo«
Tilman Singer am Set von »Cuckoo« (2024). © Felix Dickinson / NEON
Was hat Sie bewogen, auf 35 mm zu drehen?
Bei uns war das keine Entscheidung. Wir haben das immer gemacht. Ich hatte das Glück, dass ich an der Kunsthochschule für Medien in Köln gelernt habe, auf 16 mm zu arbeiten. Ich habe den ganzen Prozess mitbekommen: Man hat am Set keinen vernünftigen Monitor mit so einer alten 16-mm-Kamera, man schickt das Material zum Labor, wartet geduldig, dass es wiederkommt. Und es ist dann ein wahnsinniger Moment, es mit frischen Augen zu sehen. Das hat mich so begeistert, dass ich von da an jeden Kurzfilm auf Film gedreht habe.
Das finde ich ja erstaunlich, dass man diese vermeintlich alte Technik noch lernt.
Es war den Dozentinnen und Dozenten wichtig, dass wir ein Gefühl dafür bekommen, wie eine Kamera, durch die ein Film läuft, funktioniert. Man muss sie testen, die Einstellungen prüfen, und das gibt dir ein Verständnis für diesen magischen Apparat. Ich hatte das Gefühl, mit Film ein Material zu besitzen, das nicht nur eine Simulation von etwas ist, sondern etwas Echtes. Mein Langfilmdebüt »Luz« ist auch auf Zelluloid entstanden, auf 16 mm. Ich habe gelernt, den umständlich erscheinenden Prozess des Drehens auf Film zu lieben.
Was meinen Sie mit dieser Zuneigung?
Wenn du digital arbeitest, kannst du viel mehr drehen, weil du keine Materialkosten hast außer für Festplatten und deren Verwaltung. Aber wenn du auf Film drehst, ist das Material so teuer, dass du deine Takes beschränken musst. Du musst besser proben, kannst nicht drauflosdrehen und hoffen, dass es schon funktioniert. Ich zumindest gehe dann überlegter vor. Digital kann man Unmassen von Takes aufnehmen – aber ich glaube, du bist nicht so fokussiert. Analog drehen schärft auch die Sinne, weil du quasi ohne Sicherheit drehst. Bei einer digitalen 4k-Produktion hast du eine Ausspielung, die dir genau Dein Bild zeigt und wo du schon ein Colorgrading machen kannst. Drehen auf Film hat auch etwas Persönliches: Wenn der Director of Photography, in unserem Fall Paul Faltz, das Licht misst, wird er erwägen müssen: Wird die Kamera alles aufnehmen, wenn sie auf einen dunklen Nebel zufährt? Das kann man nicht überprüfen. Dadurch erfährt das Material eine Körperlichkeit, die man später spüren kann.
Was gehört für Sie zu einem analogen Look?
Die Zürcher Hochschule der Künste hat einmal einen Kurzfilm parallel sowohl analog als auch digital gedreht. Die Unterschiede waren nicht sehr signifikant, obwohl es sie durchaus gab. Was du in jedem Fall wahrnimmst, ist die Art und Weise, wie du auf Film drehst. Den 35-mm-Look gibt es aber schon. Ich sehe oft digital in 4k aufgenommene Filme und habe das Gefühl, ich sehe zu viel. Es ist zu scharf, die Kamera sieht mehr, als meine Augen sehen können. Für mich fehlt der Traumeffekt, der dem 35-mm-Film innewohnt, weil er softer ist. Und dann kommen die Objektive dazu, die für den Look ein wichtiger Faktor sind. Ich habe den Eindruck, dass mit der Umstellung auf digitale Technik längere Brennweiten bevorzugt werden gegenüber Weitwinkelobjektiven, die in Verbindung mit einem Anamorphoten auch eine Krümmung erzeugen. Ich vermute, dass dahinter nicht zuletzt ökonomische Gedanken stehen, digitales Drehen sollte ja einfacher werden. Ein kleiner Bildausschnitt ist schneller auszuleuchten.
Sie haben aber sehr viel, gerade in den Innenaufnahmen, mit Weitwinkel gedreht.
Das hat uns wahnsinnig viel Zeit und Geld gekostet, weil unsere Beleuchter quasi immer 180 Grad ausleuchten mussten. Mir sind Räume sehr wichtig, und ich mag es, wenn sie mit weiten Optiken aufgenommen sind. Wenn ich im Kino sitze und eine Einstellung mit einer weiten Optik sehe, dann habe ich das Gefühl, vom Raum quasi geschluckt zu werden. Solche Einstellungen sind schwieriger zu drehen, gerade mit den Schauspielern davor, gerade bei langen Takes. Weil wir heute mit digitalen Kameras so viel footage drehen können, glaube ich, dass Einstellungen, die man früher eher vor der Kamera bewerkstelligt hat, in einem Schuss-Gegenschuss-Schnitt aufgelöst werden. Deshalb die Konzentration auf lange Brennweiten.
War es schwierig, 35 mm durchzusetzen?
Eigentlich nicht. Die Produzenten waren mir wohlgesonnen, und ich habe früh gesagt, dass es eine Bedingung ist. Die Kosten von Analog und Digital liegen ab einem gewissen Budget auch nicht so wahnsinnig weit auseinander.
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