Kritik zu Cuckoo

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Tilman Singer erweist in seinem neuen Film dem großen Vorbild »Shining« Reverenz, wenn er ein abgelegenes Hotel in den Alpen zum Schauplatz macht. Hunter Schafer spielt eine 17-Jährige, die als Teil einer Patchworkfamilie um ihre Mutter trauert und dem finsteren Treiben des Hotelbesitzers auf die Spur kommt

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Man schaut Horror- und Mysteryfilme anders, wenn man weiß, zu welchem Genre sie gehören. So betrachtet man den Beginn von Cuckoo mit gespanntem Warten auf das Grauen. Unterstützt von dezentem Sound wirken harmlose Szenen wie ein Gang auf die Raststättentoilette oder der Blick in den nahe gelegenen Wald bedrohlich aufgeladen. Die anfängliche Autofahrt durch die Berge hin zu einem Hotel erscheint passend dazu wie eine Reminiszenz an »Shining«.

Nachdem ihre alleinerziehende Mutter gestorben ist, lebt die 17-jährige Gretchen (Hunter Schafer) bei ihrem Vater (Marton Csokas). Zusammen mit dessen neuer Familie reist sie von Amerika in die Alpen, wo er eine Erweiterung für ein Resort entwerfen soll. Angesiedelt ist das Geschehen in einer Zeit vor Mobiltelefonen und Internet. Herr König (Dan Stevens), der Betreiber des Hotels, nutzt die Abgeschiedenheit des Ortes für die Aufzucht einer blutrünstigen Spezies. Ähnlich wie beim Kuckuck, der seine Eier in fremde Nester legt, werden deren Nachkommen in menschliche Körper gepflanzt.

Bis sich diese Zusammenhänge erschließen, spielt »Cuckoo« mit dem Gefühl der Spannung. Greifbar wird sie im Spiel von Hunter Schafer. Von Beginn an wirkt ihre Körperhaltung verkrampft, ein Messer ist ihr steter Begleiter; die Gründe für dieses Verhalten bleiben unklar. Rätselhafte epileptische Anfälle von Gretchens Stiefschwester Alma (Mila Lieu) sind die ersten Zeichen des Übernatürlichen, Menschen, die sich in der Hotellobby übergeben und apathisch umherstolpern, weitere. Schließlich wird Gretchen von alptraumhaften Zeitloops heimgesucht oder von einer mysteriösen Frau verfolgt und gerät in die monströsen Experimente von Herrn König, der von Dan Stevens als schrulliger Psychopath angelegt ist. Generell haftet der Inszenierung mit zunehmender Dauer etwas ironisch Überdrehtes an. Beispielhaft zeigt sich das am Sound: Der dezente Klangteppich des Beginns wird zunächst um die dumpf dröhnende Gitarrenmusik aus Gretchens Kopfhörern ergänzt, dann um schrille Schreie, kratzig quietschende Töne und die Klänge einer Querflöte, mit der Herr König seine Kreaturen kontrolliert. Am Ende wird das Konzept mit einem Italopop-Schlager komplett aufgebrochen.

Tilman Singer hat bereits in »Luz« (2018), seinem Abschlussfilm an der Kunsthochschule für Medien Köln, gezeigt, dass er Horror kann. Sein zweiter Film ist eine amerikanische Coproduktion, was einerseits eine internationale Anerkennung ist, aber auch zeigt, wie schwer es Genrefilme in Deutschland haben. Das ist bedauerlich, beweist Singer doch großes stilistisches Können. Künstlerisch lustvoll inszeniert er die fortschreitende Lädierung seiner Hauptfigur: Nach einem Unfall sieht man in einer Nahaufnahme präzise, wie leuchtend rotes Blut langsam in Gretchens starr blickendes Auge läuft. Technisch eindrucksvoll spielt Singer zudem mit der Wirkung von Licht: Bei einer nächtlichen Fahrradfahrt durch das schummrig beleuchtete Dorf erkennt man durch die vorausfallenden Schatten, dass Gretchen verfolgt wird.

Das Motiv des Kuckucks im fremden Nest ist wiederum eine Allegorie auf die familiären Verhältnisse von Gretchen. Sie fühlt sich unwohl in der neuen Familienkonstellation, trauert um ihre Mutter und ihr verlorenes Zuhause. Diese Verbindung von Horror und tieferer menschlicher Psychologie bekommt allerdings wenig Raum. Gretchens Motive und Charakterzüge bleiben vage, ihre Beziehung zu Alma wirkt zwischenzeitlich nebensächlich, steht aber zum Schluss im Mittelpunkt. Man hätte Singer die Konsequenz gewünscht, entweder auf einige Ideen zugunsten von anspruchsvoller Figurenentwicklung zu verzichten oder sich ganz darauf zu konzentrieren, die ausschweifende Inszenierung weiter auf die Spitze zu treiben. »Cuckoo« ist kein perfekter Horrorfilm, belegt aber, dass auch deutsche Regisseur:innen sich in solchen Genres ausprobieren sollten.

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