Kritik zu Sparrow
Das vergnüglichste Divertissement des diesjährigen Berlinale-Wettbewerbs stammte vom Hongkong-Regisseur Johnnie To, der hier ohne Schießereien sein Lieblingsthema »Männerbünde« variiert
Das Leben in Johnnie Tos Filmen ist ein Hasardspiel, es gehorcht der Moral des Münzenwurfs. Ihr dramaturgischer Kern ist die Kippfigur: Jede Situation kann sich augenblicklich in ihr Gegenteil verkehren. Bravourös inszenierte Actionszenen schlagen um in pure Situationskomik, wenn waffenstarrende Profis in einem Sekundenbruchteil ihre Kaltblütigkeit verlieren und offenbaren müssen, dass auch sie nicht gegen das Ungeschick gefeit sind. Und die erotische Verlockung ist in diesem instabilen Universum meist nichts anderes als gewieftes Täuschungsmanöver.
Die Kippfigur gibt auch das Muster seiner Karriere vor, den behänden Wechsel der Register. Tos neuer Film Sparrow trägt die Schwerelosigkeit schon im Titel; bereits während des Vorspannes signalisiert der beschwingte Jazz-Soundtrack, dass To diesmal eine komödiantische Variation über sein bevorzugtes Thema, die Dynamik von eingespielten Männerbünden, gedreht hat.
Er erzählt von einem Quartett liebenswürdiger Taschendiebe (angeführt von Simon Yam), das eines Tages seine Meisterin findet. Reihum lassen sich die vier von einer schönen Unbekannten (Kelly Lin) becircen, die auf der Flucht zu sein scheint. Wer es so geschickt versteht, männlichen Retterfantasien zu schmeicheln, kann eigentlich nur ein Köder sein. Und tatsächlich: Um sie von einem Gangsterboss freizukaufen, erklären sich die Diebe bereit, für diesen einen Raub zu be-gehen.
To kommt diesmal ganz ohne Schießereien aus. An ihre Stelle tritt die elegante Choreographie der Diebstähle. Er inszeniert sie als eine einzige, fließende Bewegung, an der vier beherrschte Körper wie ein einziger agieren. To, der in solchen Momenten gern auch seiner eigenen Virtuosität ein Denkmal setzt, lässt ihre Betrügereien in einem Showdown kulminieren, in dem die Regenschirme der Kontrahenten ein laszives Ballett vollführen. Falls der Regisseur ihn kennen sollte, hat er Lubitschs Ärger im Paradies gut verstanden: Im schönsten Fall ist der Taschendiebstahl eben auch eine erotisch verfängliche Situation. Sparrow ist ein sorglos flanierender Großstadtfilm, der verschmitzt die Souveränität infrage stellt, mit der wir uns im öffentlichen Raum bewegen.
Daraus entwickelt To eine muntere Reflexion über die Wohltaten der Lächerlichkeit. Der bewährten Geschichte vom betrogenen Betrüger verleiht er manch verspielten Dreh, bei dem jeder Beteiligte sich einmal mit heruntergelassenen Hosen ertappen lassen muss. To gibt seine Figuren indes auf liebevolle Weise preis. Es geniert ihn nicht, hinter den heroischen Posen eine Naivität aufzustöbern, die im Genrekino ja meist als Unschuld durchgeht. Er zelebriert eingangs die Professionalität seiner Helden, um dann eine ganze Kaskade der Kränkungen über sie hereinbrechen zu lassen. Schadenfreude auf hohem Niveau: Es macht eben doch beträchtlich mehr Spaß zuzusehen, wenn Meister selbst in eine Falle tappen. Am Ende des Wechselspiels von Übertölpelung und Rehabilitation geht das diebische Quartett lädiert, aber keineswegs dümmer aus seinen Abenteuern hervor.
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