Das Recht aufs Frühwerk
Mir war in diesen Tagen nicht nach Kino, aber heute kam es anders. Vielleicht war es eher Neugier als Lust. Die stellte sich später ein, aber die Wissbegier zählte zunächst doppelt. Zum einen wollte ich herausfinden, was für ein Publikum sich einfindet zu den Vorstellungen japanischer Animationsfilme, die hier zu Lande nur einen Tag zu sehen sind. Und dann wollte ich natürlich wissen, wie Hayao Miyazaki war, bevor er Hayao Miyazaki wurde.
Das nächste Filmtheater, in dem heute sein Kinodebüt »Lupin III – Das Schloss des Cagliostro« von 1979 läuft, war das CinemaxX in Bielefeld, das ich trotz der neuen Recliner-Bestuhlung aufsuchte. Die große Frage bei klugen oder einfach nur smarten Animationsfilmen ist ja, welches Alter sie ansprechen sollen. Obwohl Miyazakis Film ab sechs Jahren freigegeben ist, waren wir Erwachsenen heute Nachmittag in der Überzahl. Hörbar kamen wir auch eher auf unsere Kosten als das einzige Kind im Saal 3, ein Junge, der allerdings hyperaktiv für drei war, sich nicht einmal von den späteren, halsbrecherischen Action-Szenen in den Bann schlagen ließ und bedauerlicherweise in der Reihe hinter mir saß. Wir waren ohnehin nur eine Handvoll, was die Kassiererin eigentlich erstaunte. Hoffen wir mal, dass bei den Eintagesstarts der Animationsfilme von Makato Shintai ehedem größerer Andrang herrschte.
»Lupin III - Das Schloss des Cagliostro« stammt aus der Zeit, in der Miyazaki fürs Fernsehen arbeitete. Mit der Figur des Enkels von Arsène Lupin war er bereits aus einer Serie nach den Mangas von Monkey Punch vertraut, für die er etliche Folgen inszenierte. Der ist ein nassforscher, nicht übermäßig weltgewandter Nachfahre des eleganten Meisterdiebs. Die Figuren - und Gesichter-Animation ist wahrscheinlich nicht besser als im Fernsehen. Der Prinzessin Cagliostro wiederum eignet jene Niedlichkeit, die mich auch in späteren Miyazaki-Filmen beharrlich genierte. Eine Femme fatale ist sie mitnichten. Zu ihr existiert indes eine waffenstarrende, undurchsichtige weibliche Gegenfigur mit Sexappeal. Der Titel führt durchaus kundig auf manch falsche Spur; mit den Intrigen der Gräfin von Cagliostro aus dem Roman von Maurice Leblanc hat die Handlung nichts zu tun. Statt dessen geht es um eine Schatzsuche, Falschgeld sowie eine Heirat in Adelskreisen, die unbedingt verhindert werden muss. Es gibt rasante Verfolgungsjagden, endlose Stürze, die dennoch nicht tödlich enden, und jede Menge Fassadenklettereien. Dem diebischen Enkel stehen bei seinen Abenteuern zahlreiche Gimmicks zu Gebot, die Q hätte erfinden können. Er hat einen ruppigen Sidekick, auf den Verlass ist und begegnet zahlreichen Widersachern wieder, die dem TV-Publikum und der Leserschaft zweifellos vertraut waren. Mittendrin wird ein Schwertkämpfer rekrutiert, der erst im Finale zum Einsatz kommt gegen die Schattenarmee des Regenten vom Zwergstaat Cagliostro, die aus Ninjas mit Stahlkrallen rekrutiert wurde. Tatsächlich werden hier einige haarsträubende, halbwegs jugendfreie Massaker angerichtet. Die Filmmusik schillert unschlüssig zwischen Asien-Pop und flottem Jazz. Die deutsche Synchronisation ist flapsig auf eine Weise, die keine Nostalgie weckt, aber womöglich nicht einmal Verrat am Original begeht. Alles in allem also kein Stoff, den man auf Anhieb mit dem reifen Miyazaki in Einklang bringen könnte. Dafür ist das Ganze in atemlosem Tempo inszeniert und in 4K restauriert.
Die Faszination an vorindustriellen, pseudo- europäischen Schauplätzen, die seine späteren Frühwerke prägt, ist schon ausgeprägt. Im Kern ist es noch jene Märchenwelt, die auch Walt Disney bei seinen Besuchen in der Alten Welt in den frühen 1930ern zu entdecken glaubte. (Ich nehme an, das gilt ebenso für Miyazakis Serien über Heidi und Sherlock Holmes.) Das Fürstentum Cagliostro ist eine Art Liechtenstein mit Alpen, auf jeden Fall aber der kleinste, der den Vereinten Nationen angehört. Man ahnt, auf welche Wege die Szenerie den Regisseur später leiten wird, er hat bereits Freude an luftigen Höhen, einem wolkenreichen Himmel und Flugmaschinen, die wacker der Schwerkraft trotzen. Miyazaki wagt einige ungewöhnliche Perspektiven, die Montage ist ruppig. Sein Blick auf die imaginiert europäische Architektur ist atemraubend. Er spielt kühn mit Größendimensionen und Fallhöhen.
Im Gegensatz zu meinem unruhigen Nachbarn gab ich mich nach einer Weile ins Schlepptau dieser Kapriolen. Zumal die Geschichte nach gut einer Stunde fast hätte vorüber sein können, die Befreiung der treuherzigen Prinzessin jedoch um Haaresbreite scheitert, bevor Miyazakis Inszenierung noch einmal einen neuen Elan findet. Was mich eigentlich faszinierte, war jedoch seine kuriose Auffassung von Internationalität. Sein filmischer Kosmos ist noch weit davon entfernt, souveräne Konturen anzunehmen, aber er frönt einer gleichsam globalen Schaulust. Lupins treuer Widersacher ist ein Agent von Interpol (die Behörde taucht einfach viel zu selten im Kino auf, seit es die USA als Weltpolizei hinnimmt); die Vertreter der Vereinten Nationen bei der Hochzeit sind wunderbar satirisch gezeichnet. Die Schlusspointe der Schatzsuche ist eine archäologische: ein verborgener Ort wird entdeckt, der fortan unbedingt auf die UNESCO-Liste des Welterbes gehören sollte. Und all das ist an einem dem Tag zu sehen, an dessen Morgen ich las, dass Miyazakis jüngster Film, »Der Junge und der Reiher« in China am Wochenende Besucherrekorde brach.
PS: Tatsächlich lwurde der Film nicht nur am 9.4. gezeigt, sondern läuft nach wie vor in einzelen Kinos.
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