Nahaufnahme von Lupita Nyong'o
Lupita Nyong'o in »Black Panther: Wakanda Forever« (2022). © Marvel Studios
Lupita Nyong'o legte mit dem Oscar für »12 Years a Slave« einen Karriere-Blitzstart hin. Inzwischen hat sie in Blockbustern gespielt, macht Theater, produziert. In diesem Jahr ist sie Präsidentin der Berlinale-Jury – ohne den typischen Arthouse-Background und als erste Schwarze Person auf diesem Posten
Gleich für die erste Filmrolle einen Oscar mit nach Hause nehmen – viel kometenhafter kann ein Aufstieg in Hollywood eigentlich kaum gelingen. Und während Barbra Streisand oder Julie Andrews immerhin vor dem Leinwanddebüt bereits Bühnenstars waren und man Jennifer Hudson zumindest schon aus einer Fernsehshow kannte, setzte Lupita Nyong'o sogar noch einen drauf. Denn die Wahl-Amerikanerin war vor ihrer Rolle in »12 Years a Slave« selbst in der Branche ein unbeschriebenes Blatt, mit wenig mehr Erfahrung als dem frisch beendeten Schauspielstudium in Yale. Ziemlich genau zehn Jahre nachdem Nyong'o mit dem Academy Award als Beste Nebendarstellerin ausgezeichnet wurde, ist sie nun Jurypräsidentin der Berlinale 2024. Auch das eine Aufgabe, für die andere oft erst einmal jahrzehntelang im Job sein müssen.
Besonders gewöhnlich verlaufen ist in Nyong'os Biografie seit jeher nichts. Geboren wurde sie 1983 in Mexico City, wohin ihre kenianischen Eltern drei Jahre zuvor in einer Zeit politischer Unruhen und Unterdrückung geflohen waren. In Mexiko unterrichtete der Vater einige Jahre als Politikprofessor, doch schon Mitte der 1980er zog die Familie zurück nach Kenia, wo Nyong'o (die bis heute beide Staatsbürgerschaften hat) und ihre fünf Geschwister aufwuchsen. Später folgte nicht nur ein Auslandsjahr als Schülerin in der alten Quasiheimat Mexiko, sondern irgendwann – ungefähr parallel zum Beginn der politischen Karriere des Vaters, der lange Parlamentsmitglied sowie Minister war und heute Governor des Kisumu County ist – der Entschluss, in den USA zu studieren.
Die Schauspielerei hatte Nyong'o anfangs nicht auf dem Schirm. Am privaten Hampshire College in Massachusetts studierte sie zunächst Film- und Theaterwissenschaften. Erste Drehluft schnupperte sie als Assistentin und Praktikantin, etwa bei Fernando Meirelles' »Der ewige Gärtner« oder »Namesake« von Mira Nair (mit der sie später »Queen of Katwe« drehte). 2008 inszenierte sie selbst ein Musikvideo sowie den Dokumentarfilm »In My Genes« über Menschen mit Albinismus in Kenia. Auf eine Karriere vor der Kamera deutete zunächst wenig hin, trotz kleiner Rollen in einem Kurzfilm oder einer kenianischen MTV-Serie. Bis es dann mit besagtem Studienplatz in Yale klappte, wo sie in diversen Theaterinszenierungen als eine der Jahrgangsbesten gefeiert wurde und – nach monatelangem Casting mit mehreren Tausend anderen Schauspielerinnen und noch drei Wochen vor dem Abschluss – schließlich die unerwartete Zusage für Steve McQueens Sklavereidrama bekam.
Der von der Kritik gefeierte Film und die Auszeichnung mit dem Oscar (den sie im Übrigen als erste Schwarze Afrikanerin erhielt), aber auch lange Monate in atemberaubenden Outfits auf immer neuen roten Teppichen machten Nyong'o in Windeseile zum Star. Werbeverträge mit Kosmetik- und Modefirmen ließen ebenso wenig auf sich warten wie Coverstorys in Hochglanzmagazinen. Deutlich spärlicher dagegen: die Auswahl an interessanten Rollen. Seit »12 Years a Slave« hat Nyong'o gerade einmal elf Filme gedreht, darunter mit »The Jungle Book« und der jüngsten »Star Wars«-Trilogie vier, in denen sie dank CGI und Motion-Capture gar nicht zu sehen war.
Das heißt nicht, der heute 40-Jährigen sei seit dem fulminanten Karrierebeginn kein Erfolg vergönnt gewesen. Als Nakia übernahm sie eine tragende Rolle in den beiden »Black Panther«-Filmen, neben Jessica Chastain und Penélope Cruz stand sie für den Actionthriller »The 355« vor der Kamera, und hätte die Academy nicht eine gut dokumentierte Abneigung gegen Genre-Performances, wäre für ihre eindrucksvolle Doppelrolle in Jordan Peeles Horrorfilm »Wir« womöglich eine weitere Oscarnominierung drin gewesen. Dennoch wird man mit Blick auf die Karrieren von Emma Stone, Jennifer Lawrence oder auch Sydney Sweeney den Verdacht nicht los, dass Nyong'o womöglich um einiges mehr hätte arbeiten können, wäre sie nicht Schwarz.
Statt sich öffentlich zur Chancenungleichheit in Hollywood zu äußern oder gar ihrem Frust Luft zu machen, nutzt die Schauspielerin ihre Zeit allerdings lieber, um Neues auszuprobieren und eigene berufliche Optionen zu schaffen. 2016 gab sie ihren Broadway-Einstand und wurde für ihre Rolle in Danai Guriras Stück »Eclipsed« prompt für den Tony Award nominiert. Drei Jahre später erschien mit »Sulwe« ihr erstes Kinderbuch, das es auf den ersten Platz der Bestsellerliste der »New York Times« schaffte, in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde und sogar eine Nominierung für den Deutschen Kinderbuchpreis bekam.
Ihre Prominenz nutzt sie nicht nur für wohltätige Zwecke, sondern auch, um Film- und TV-Produktionen zu unterstützen, die ihr am Herzen liegen, von der Doku-Reihe »Serengeti« bis zum sudanesischen Oscarkandidaten »Goodbye Julia«. An einem ersten erfolgreichen Projekt als Produzentin arbeitet sie (nicht zuletzt nach dem Scheitern ihrer lange geplanten Adaption des Bestsellers »Americanah«) weiterhin unter Hochdruck. Auch eine Rückkehr auf den Regiestuhl ist nicht ausgeschlossen, wie sie bereits 2016 gegenüber »Variety« sagte. Und mindestens ein Mal werden wir Nyong'o 2024 auch wieder auf der Leinwand sehen: Das Grusel-Spin-off »A Quiet Place: Day One« hat sie bereits abgedreht, der Kinostart ist für Ende Juni vorgesehen.
Dass Nyong'o nicht nur eine vergleichsweise überschaubare Filmografie (zu der bislang übrigens noch keine Serie gehört) mitbringt, sondern schauspielerisch bislang vor allem im US-amerikanischen Mainstream zu Hause ist, macht ihre Wahl zur Jurypräsidentin der Berlinale besonders spannend. Genredünkel ist ihr mehr als fremd, und anders als Schauspielerinnen wie Kristen Stewart, Juliette Binoche oder Tilda Swinton, die diesen Posten in den vergangenen Jahren innehatten, ist sie mutmaßlich im arthousigen Weltkino nicht unbedingt vernetzt und verklüngelt. Darauf, was das für die Entscheidungen bei der Bären-Vergabe zu bedeuten hat, darf man mindestens gespannt sein. Von historischer Bedeutung ist sie in dieser Funktion allemal: In der 74-jährigen Geschichte der Internationalen Filmfestspiele Berlin stand noch nie eine Schwarze Person der Wettbewerbsjury vor.
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