Kritik zu In voller Blüte
Es nimmt nicht wunder, dass dieser Film von lauter letzten Dingen erzählt: Glenda Jackson beendete ihn wenige Monate vor ihrem Tod und Michael Caine kündigte an, mit ihm seinen Abschied vom Kino zu nehmen
In ihrem Blick mögen Skepsis und Sorge liegen, aber ihren Mund umspielt ein Lächeln der Genugtuung. Rene offenbart es nur der Kamera; das Pflegepersonal soll vorerst nicht wissen, dass sie in Bernies Plan eingeweiht war. Nun hat er es also tatsächlich gewagt, hat sich aus dem Pflegeheim geschlichen, den Bus nach Dover genommen und von dort aus die Fähre über den Ärmelkanal – all das auf eigene Faust und mit 90 Jahren!
Die gebrechliche Rene (Glenda Jackson) weiß, dass Bernard (Michael Caine) sie nur ungern allein zurücklässt. Aber er weiß sie in guten Händen, und die Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des D-Day will der Veteran um keinen Preis verpassen. So reist er also erneut zu den Invasionsstränden in der Normandie, diesmal nicht in Uniform, sondern gestützt auf den Rollator. Seine Auszeichnungen hat er stolz an die Brust geheftet. Während der Überfahrt schließt er Bekanntschaft mit Arthur (John Standing), den die Erinnerung an damals ebenfalls nicht loslässt. Sie sind unter ihresgleichen. Dazu zählen später auch einige Veteranen, die auf der gegnerischen Seite kämpften und ihre gefallenen Kameraden ehren wollen. Davor haben Bernie und Arthur Respekt; sie selbst hat ein je eigenes Schuldgefühl der Überlebenden hierher geführt.
Rene hält derweil die Stellung an der Heimatfront. Das ist Oliver Parkers Film ebenso wichtig, beharrlich changiert er zwischen den beiden Schauplätzen. Während Bernie bald von der patriotischen Presse als »The Great Escaper« (so lautet auch der Originaltitel) gefeiert wird, stellt sie sich der Wahrheit, dass es vor dem Altern keine Flucht gibt. Auch Rene hält rege Zwiesprache mit der Vergangenheit, was der Film in immer ausführlicheren Rückblenden beglaubigt. Sie blickt zurück auf die Romanze, die sich damals zwischen ihnen entspann und in ein ganz normales Zusammenleben mündete, das seinen eigenen Zauber besitzt. Ihre Liebe hält seit 70 Jahren, weil sie im Einklang der Leidenschaft füreinander steht.
Jackson (86) und Caine (90) spielen keine Karikaturen der Rüstigkeit, sondern das vergnügte Erkunden dessen, was noch in ihren Kräften steht. Das ist nicht wenig. Rene tanzt zu den Klängen der Swing-Klassiker, die auf ihrem alten Plattenspieler laufen. Bernie wiederum wird eingangs als ein geselliger Charmeur vorgestellt, der lange frühmorgendliche Spaziergänge zum Strand liebt, von dem aus er in die Vergangenheit schauen kann. Der Sarkasmus, mit dem Jackson die Plagen des Älterwerdens bedenkt, bildet eine Gewähr für die Vermeidung der Sentimentalität. Das hält der Film nicht ganz bis zum Ende durch. Aber wäre es nicht eine Schande, wenn er dem Gespann (und seinem Publikum) sein Recht auf Rührung verwehrte? Das glückliche Ende, auf das es zusteuert, stellt William Ivorys Drehbuch unter Vorbehalt. Bernie kehrt nicht als ungebrochener Held der Stunde zurück, sondern voller Zweifel. Der vielleicht gar nicht so unglückliche deutsche Titel könnte durchaus auch die vielen jungen Leben meinen, die damals an den Invasionsstränden vergeudet wurden.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns