Kritik zu Fremont

© Trigon-Film

Babak Jalali erzählt von einer jungen Afghanin, die in die USA flüchten konnte und dort in ihrem bescheidenen Alltag in Fremont, Kalifornien, um Anschluss an den amerikanischen Traum ringt

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Fasst man nur die Handlung von Babak Jalalis Film zusammen, erkennt man den Film eigentlich kaum wieder: Die junge Donya hat es auf einem Evakuierungsflug aus Afghanistan, wo sie bis zum Einfall der Taliban als Übersetzerin für die US-Armee arbeitete, in die USA geschafft. In Fremont lebt sie, zurückgezogen und allein, in einer afghanischen Nachbarschaft. Ihr Brot verdient sie in einer Glückskeksfabrik. Weil Schlaflosigkeit und Schuldgefühle gegenüber den Zurückgelassenen sie plagen, sucht sie einen Psychiater auf.

Was bei dieser Beschreibung verloren geht, ist zum einen die Form: Erzählt wird »Fremont« in Schwarz-Weiß-Bildern, die sich Zeit lassen. Aber die Langsamkeit ist nie selbstgefällig oder dröge, sondern schafft immer etwas: Pointen, echten Suspense, das Auskosten von Schauspiel und Stimmung. Der Film bietet einem nicht nur Bilder zum Verweilen an, er verweilt mit einem darin, füllt sie mit Rhythmus und Sinn.

Zum anderen ist da die dünne Schicht Absurdität, die den Realismus von »Fremont« in fast jeder Figur und Bildkomposition unterwandert. Um die ruhige, unnahbare Donya herum treten tragikomische Gestalten auf und ab, dass man sich kringeln möchte. Da ist der Psychiater, der seinen Patienten mit Vorliebe aus »Wolfsblut« von Jack London vorliest. Oder der treuherzige Besitzer der Glückskeksfabrik, der seiner giftigen Ehefrau zum Trotz gern gute Ratschläge verteilt. Da ist Donyas esoterisch angehauchte Kollegin, die an ihren Dates scheitert und so himmlisch singen kann. Und die alte Dame, die in der Fabrik stumm und gemächlich Glückskekssprüche in eine Tastatur hackt und eines Tages tot zusammenklappt.

Donya wird daraufhin an ihre Stelle befördert. Als sie ihren ersten Spruch, »The fortune you seek is in another cookie«, präsentiert, rät ihr Psychiater dazu, die Kekse doch zur Seelenschau zu nutzen.

Glückskekse und Psychologie drängen in »Fremont« gleichermaßen zu Innerlichkeit hin, zur »Tyrannei der Intimität«, wie Richard Sennett schon 1977 ein Buch untertitelte. Um Donya herum schütten fast alle ständig ihr Innerstes vor ihr aus: Liebesleben, Lebenssorgen, Ängste, Privatphilosophien. Sie allerdings teilt sich nur mit, wenn sie unbedingt will. Angebote zur Psychologisierung (Scheu, Depression, Trauma . . .) kommen von überall, doch Donya lässt sich nicht auf einen Nenner bringen. In dieser Zurückhaltung wird sie unendlich interessant, und die wenigen Blicke in ihr Inneres beschämen uns beinah. Die ganze Form des Films teilt ihr Understatement.

»Fremont« enthält zwar phonetisch ein »free«, Der amerikanische Traum aber scheint allenfalls in der Vorstellungswelt des Psychiaters am Leben. Tatsächlich ist Donyas größte Sorge, neben der Schwere ihrer Biografie, dass sie nicht weiß, woher sie sich einen Traum nehmen soll. Der Film findet einen zauberhaften Weg, Donya auszusenden in die Welt, wo sie gerade da auf Lebenswertes stößt, wo sie ihre Ziele verfehlt. »Fremont« ergreift mit seiner Meisterschaft der Zeitbeherrschung, dem einnehmenden Schauspiel des Ensembles und einer Wärme, die nie so naiv ist, wie sie sich zunächst anfühlt.

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