Venedig: Andersons filmisches Theater
»The wonderful Story of Henry Sugar« (2023). © Netflix
Wes Anderson hat in einem Interview über seinen Kurzfilm »The wonderful Story of Henry Sugar« gesagt, dass es sich dabei nicht wirklich um einen Film handele. Das ist eine witzige Polemik mit Wahrheitsgehalt, denn seine bald bei Netflix erscheinende Roald-Dahl-Adaption, die zweite nach »Fantastic Mr. Fox«, ist die konzentrierte Überhöhung seines Stils: verschachtelt in verschiedene Erzählebenen, meta durch und durch und dabei mehr ein filmisches Theaterstück im Tableaux-Modus denn ein narrativer Film. Dass der Film in Zentralperspektiven inszeniert ist und quietschbunt wie eh und je versteht sich bei Anderson von selbst.
In dem auf dem Lido außer Konkurrenz laufenden Film gibt Ralph Fiennes ein Alter Ego des Schriftstellers Dahl, das aus der gut sortierten Schreibkammer von der Entstehung einer Geschichte um Henry Sugar (Benedict Cumberbatch) erzählt, einem reichen Mann, der von einem Guru lernt, ohne Augen zu sehen. Sugar kann später, wie wir erfahren, durch Spielkarten sehen – eine super Fähigkeit, um tausende in einer Nacht beim Black Jack zu gewinnen.
Diese Fähigkeit erlernt der von Cumberbatch verschroben gespielte Typ aus einem Buch, in dem die Geschichte jenes Gurus (Ben Kingley) erzählt wird, der dank stoischer Yoga-Konzentration einmal mit zugeklebten Augen und verbundenem Kopf problemlos mit dem Rad durch die Gegend fährt. Als Erzähler dieser Ereignisse wiederum fungiert der von Dev Patel gespielte Aufzeichner, ein Arzt, der mit dem Guru zusammenarbeitet.
Es ist schon erstaunlich, wie es Anderson sogar auf die kurze Distanz gelingt, Geschichten zu verschachteln wie eine Matroschka. Die verschiedenen Erzähler im Film berichten von den Ereignissen, die sich in theaterhaft hintereinander gestaffelten Kulissen abspielen, in gewohnt intellektueller und monotoner Anderson-Manier maschinengewehrartig und reden von sich selbst auch mal in der dritten Person.
Der Film ist natürlich auch ein Diskurs über das sprachliche und visuelle Erzählen. Anderson baut einen überbordenden Referenz-Dschungel voller Sprach- und Schauwerte. Wirklich lebendig wird »The wonderful Story of Henry Sugar« nicht – soll er natürlich auch nicht, schließlich tragen die aktuelleren Anderson-Filme ihre Gemachtheit selbstbewusst vor sich her.
»Henry Sugar« ist ein vielschichtiges Werk, in dem sich erneut Stars die Klinke in die Hand geben. Das ist alles nett anzusehen und witzig, bleibt aber in diesem sehr stilisierten Anderson-Universum dann trotz aller Exzentrik beliebig. Die früheren Filme, wie »Rushmore« oder »The Royal Tenenbaums«, hatten mit ihren liebevoll verschrobenen Figuren mehr Herz. Da war Anderson schon ein exzentrischer Formalist, aber eben einer mit humanistischer Brille.
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