Kritik zu Dalíland

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Der schmelzende Käse war die Inspiration: Mary Harrons Biopic über den spanischen Maler zeigt den Künstler einmal mehr als narzisstisches großes Kind zwischen Genie und Wahnsinn und mit viel Vergnügen an der Selbstinszenierung

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»The Dalí is here!!!« So geht nämlich ein Entree: Der spanische Künstler Salvador Dalí (Ben Kingsley), den Schnurrbart frisch gewichst und hochgezwirbelt, in pompöser Robe, mit der ähnlich ausstaffierten Ehefrau Gala (Barbara Sukowa) am Arm, betritt den Partyraum seiner Hotelsuite. Und stößt bei seinem Ausruf das Zepter auf den Boden.

An Exzentrik fehlte es ihm wahrlich nicht, vor allem im Alter: Mary Harrons Biopic erzählt von den späten, erfolgreichen Jahren in den 1970ern, in denen Dalís Schecks unabhängig von ihrer Höhe zu Kunstwerken wurden, nur weil er sie signierte. In denen die Partys im New Yorker St. Regis Hotel, in dem die Dalís »überwinterten«, de facto Orgien waren, mit Gästen wie Amanda Lear (Andreja Pejić), Alice Cooper (Mark McKenna) und weiteren »beautiful people«.

Und in denen der über 70-Jährige zunehmend die Verbindung zur Realität verlor: Durch den engelsgesichtigen Galerieassistenten James (Christopher Briney), der den Künstler zum disziplinierten Malen anhalten soll, laden Harron und Drehbuchautor John Walsh ein ins »Dalíland« – ein Ort, surreal wie ein Dalí-Bild.

Dass der unerfahrene, aber kunstinteressierte James fasziniert ist vom Brimborium samt sexuell offenherziger Frauen und großartiger Gemälde, ist nachvollziehbar. Auch die eigenartige Beziehung zwischen Dalí und Gala stört ihn nicht. In einer Szene sieht James hinter einem Türspalt während einer orgiastischen Nacht den Schnurrbart in masturbatorischem Voyeursvergnügen zittern. Dalís Frau hat eine Vorliebe für junge, langhaarige Beaus wie James, und stopft das von Dalí ermalte Geld in den Rachen des nichtsnutzigen »Jesus Christ Superstar«-Darstellers Jeff (Zachary Nachbar-Seckel), genannt Jesus. Doch wenn Gala richtig sauer wird, freut sich Dalí – denn »Wut macht etwas stark!«

Beim ersten Aufeinandertreffen von Dalí und Gala zeigt Harron den jungen Spanier in der Rückblende in Liebesfeuer entflammt, als er den schönen Rücken Galas entdeckt. Eine weitere Rückblende inszeniert Dalí beim Warten auf Inspiration, die Sonne brennt, die Zeit verrinnt, der Käse schmilzt – und es schmilzt auch die Uhr. Voilà, »Die Beständigkeit der Erinnerung«, Dalís bekanntestes, überpräsentestes Werk, das es sogar als Mimoji gibt, ist geboren.

Es sind somit größtenteils Klischees, die Harron zu Dalí in den Sinn kommen – der Künstler als narzisstisches großes Kind zwischen Wahnsinn, Obsession und Genie, zwischen Großstadt und Katalonien, Prunk und Ruin. Diese Klischees sind in ihrer visuellen und sinnlichen Pracht oft unterhaltsam, und auch die von Kingsley und Sukowa gleichermaßen inbrünstig vorgetragene Attitude – »I will never eat from tin spoons again!!!«, echauffiert sich Gala angesichts eines Streits um Finanzen – ist hochamüsant. 

Allerdings kratzt die Stippvisite im Zauberuniversum »Dalíland« zu selten an der Oberfläche, unter der bei Dalí so vieles brodelt. Einen kleinen Eindruck geben Harron und Walsh, wenn sie ihren Protagonisten etwa über zeitgemäße Kunst lästern lassen, bei der die Farbe »aus der Tube direkt auf die Leinwand gedrückt wird«, wo sie doch eigentlich erst durch einen distanzierenden Gedankenprozess des Künstlers verändert werden müsste. Oder wenn Dalí die Sexfixiertheit der Nation (und seiner selbst) aufs Korn nimmt, indem er ankündigt, eine riesige Penisskulptur zu bauen, die auf das UN-Gebäude ejakuliert: Das ist zwar lustig, aber die Laufbahn Dalís war tatsächlich eine oft ernste Auseinandersetzung mit Kunst, Gesellschaft und Politik, die bis hin zu bitterem Streit über Dalís angebliche Vorlieben für faschistische Führer geriet und seine Freundschaften schwer belastete.

Harrons Konzentration auf Dalí, den impotent-ulkigen Partylöwen, und ihr Umweg über einen jungen Beobachter hat zuweilen den gleichen Effekt, den ein schlecht gedrucktes Dalí-Poster auslöst: Man spürt, dass es da noch mehr geben muss. Allein die Wirkung will sich nicht einstellen.

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