40. Filmfest München
»More Than Strangers« (2023)
Zu seinem 40. Jubiläum wartete das Filmfest München mit einer gut zusammengestellten Reihe Neues Deutsches Kino auf
Manchmal hingen Gewitterwolken über der Stadt. Aber insgesamt konnte das Filmfest in seiner Jubiläumsausgabe mit dem Wetter ziemlich zufrieden sein, und im wunderschönen Open Air »Kino, Mond und Sterne«, direkt an einem See, war es abends angenehm kühl. Zufriedenheit herrschte auch über die Besucherzahlen: 58.000 Menschen gingen in die Kinos. Das entspricht noch nicht ganz dem Vorpandemie-Niveau (70.000) – und schon gar nicht dem der Berlinale, gegen die der bayrische Ministerpräsident Markus Söder die Münchner Veranstaltung einmal aufstellen wollte. Aber dieser Wunsch ist zum Glück Geschichte.
Mit seinem Herzstück, der Reihe Neues Deutsches Kino, wirkt das Münchner Filmfest wahrscheinlich mehr in die deutsche (Nachwuchs-)Filmszene hinein als die unübersichtliche Berlinale; mit den großen Münchner Premieren deutscher Filme im Filmtheater Sendlinger Tor, auf dessen Bühne manchmal mehr als 30 Leute der jeweiligen Filmcrew standen. Christoph Gröner hat mit dieser Reihe seine Karriere beim Filmfest gestartet, als Künstlerischer Leiter wird er künftig, zumindest kommissarisch, die Aufgaben der vorzeitig aus dem Amt geschiedenen Direktorin Dunja Iljine übernehmen. Die Sektion Neues Deutsches Kino versteht sich nach wie vor als eine Nachwuchs-Reihe, auch wenn sie es nicht ausschließlich ist. Wenn in der letzten Zeit viel von der Misere des deutschen Films zu lesen war – am Nachwuchs liegt es nicht.
Anna Roller etwa folgt in »Dead Girls Dancing«, ihrem Abschlussfilm an der Münchner Filmhochschule, drei Abiturientinnen und einer Anhalterin, die mit wenig Geld in einem alten Passat durch Nord-Italien streifen und in einem verlassenen Bergdorf stranden. Roller sagte, dass sie von den »Girls Pictures« der Fotografin Justine Kurland inspiriert worden wäre, aber man fühlt sich auch an »Picknick am Valentinstag« erinnert – nur, dass die vier ihre Freiheit zu Zerstörung nutzen. Die ersten zwei Drittel des Films mit ihrer mysteriösen Atmosphäre sind furios, dann landet der Film auf dem Boden der Tatsachen.
Das Pendant dazu war der Dokumentarfilm »Boyz«, auch ein Abschlussfilm an der Münchner Hochschule, in dem Regisseur Sylvain Cruiziat seinen kleinen Bruder Maxime und dessen Clique beobachtet, die in München studieren. Es ist ein »kleiner«, naher und intimer Film, der sich zu einem Generationenporträt weitet. Der in Berlin lebende iranische Regisseur Behrooz Karamizade schildert in seinem Debüt »Leere Netze« eine Liebe, die sich nicht realisieren lässt. Um die hohe Mitgift für seine Freundin aufzubringen, heuert Amir bei einem Fischereibetrieb am Kaspischen Meer an, der sein Geld mit illegaler Kaviarproduktion verdient. Ausführlich beobachtet Karamizade den Alltag der Fischer an der Küste, ihre harte Arbeit, aber auch die Klassengesellschaft im Iran. Es fällt auf, dass die Filme dieser Sektion Deutschland oft verlassen. »Südsee« von Henrika Kull ist in Israel situiert, und Maximilian Erlenwein hat seinen Film »The Dive« ganz auf Englisch gedreht, mit zwei angelsächsischen Schauspielerinnen. Zwei Schwestern auf Tauchgang, eine wird durch einen Steinschlag eingeklemmt, die andere muss sie retten – das ist der ganze Film. Aber er drückt den Zuschauer in den Sitz. Erlenwein versteht sich meisterhaft auf die Mechanik der Spannung, und es gelingt ihm, die emotionale Dynamik der beiden Schwestern aufs Tapet zu bringen. Ein Kammerspiel unter Wasser und ein großartiger klaustrophobischer Thriller in der Weite des Meeres. Auch »More Than Strangers« von Sylvie Michel, der den Förderpreis Neues Deutsches Kino in der Kategorie Regie gewann, kann man als Kammerspiel einordnen: fünf Menschen unterschiedlicher Nationalitäten in einem Auto, unterwegs von Berlin nach Paris. Es gibt kleine Auseinandersetzungen und große Schwierigkeiten. Für illegal Eingewanderte sind die Grenzen zwischen Deutschland und Frankreich längst nicht so offen wie man denkt.
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