Kritik zu Bis ans Ende der Nacht
Christoph Hochhäuslers verwickeltes Krimimelodram hatte im Februar seine Premiere auf der Berlinale, wo Thea Ehre einen Bären als beste Nebendarstellerin erhielt
Am Anfang wird eine Wohnung renoviert. Eine kleine Wohnung, die Küche ist durch eine Glasscheibe vom Zimmer getrennt. Schemenhaft gehen Handwerker durchs Bild, in einem Zeitraffereffekt bekommen die Wände Farben. Bilder überlagern sich, währenddessen im Off das Chanson »Eine Liebe so wie du« von Heidi Brühl läuft. Eine Atmosphäre des Ungefähren, die den Ton setzt für den neuen Film von Christoph Hochhäusler. »Und ein Typ wie du hat für Liebe keinen Sinn/Und du trittst mit Füßen sie« singt Heidi Brühl in der Exposition dieses Films, in dem es um uneingestandene Gefühle und die Last der Vergangenheit geht.
Es ist auch nur eine provisorische Wohnung. Wahrscheinlich hat die Polizei sie gemietet, für die verdeckte Ermittlung von Robert (Timocin Ziegler) und Leni (Thea Ehre). Die beiden haben eine gemeinsame Geschichte, wie sich herausstellt: Robert, der Cop und ehemalige Koch, hat Leni geliebt, als sie noch ein Mann war und Lennart hieß. Leni ist gerade aus dem Knast entlassen, man zelebriert in der kleinen Wohnung eine Warming-up-Party. Leni war einmal Tontechniker, und die beiden werden auf den Frankfurter Online-Drogendealer Victor Arth (Michael Sideris) angesetzt, den Leni von früher kennt. Aber Robert kommt mit der neuen Identität seines ehemaligen Geliebten überhaupt nicht zurecht. Er behandelt Leni schlecht, wird ausfällig.
Natürlich ist das eine ziemlich exaltierte Konstellation, und wahrscheinlich verbieten die Regularien verdeckter Polizeiarbeit normalerweise allzu viel emotionale Involviertheit. Hochhäusler führt einem seine Figuren wie in einer Versuchsanordnung vor, hochemotional und doch irgendwie unterkühlt. Und natürlich ist »Bis ans Ende der Nacht« dadurch meilenweit von einem normalen Fernsehkrimi entfernt. Man fühlt sich an ein Melodram à la Fassbinder oder Sirk erinnert, und wie bei Fassbinder – sagen wir in »Despair« – lieben Hochhäusler und sein Kameramann Reinhold Vorschneider die Blicke durch Scheiben oder in und durch Spiegel. Mitunter treiben die beiden diese Künstlichkeit ihrer Inszenierung auf die Spitze, wenn sie bei einer Unterredung von ihren Figuren nur die Hüftpartien zeigen. Und Vorschneider hat seine Bilder äußerst kontrastreich gehalten, was eine Note der Stilisierung in den Film bringt.
Bei einem Tanzkurs lernen Robert und Leni dann Viktor und seine Freundin (Ioana Iacob, zuletzt in »Wir könnten genauso gut tot sein« zu sehen) kennen. Victor betreibt einen Club, sein bürgerliches Standbein, hinter dessen Fassade er einen millionenschweren, von der Polizei schwer zu fassenden Handel mit Drogen im Web betreibt, auf den auch das klassische organisierte Verbrechen scharf ist. Zu Beginn ist Viktor den beiden gegenüber skeptisch, aber dann entwickelt er sogar so etwas wie freundschaftliche Gefühle. Während Robert immer gehässiger zu Leni wird, die sogar aus der gemeinsamen Wohnung auszieht – das klassische Gut-Böse-Schema passt nicht in diesem Film. Und es wird Roberts Liebe sein, die ihn in den Untergang führt, wie in einem guten Film noir, auf den sich »Bis ans Ende der Nacht« (mit vielen anderen Anspielungen, etwa an Abel Ferraras »Bad Lieutenant«) durchaus bezieht. Dazu passt auch, dass Hochhäusler keine bekannten Ansichten vor Frankfurt zeigt, sondern die nächtlichen Nebenstraßen und dunklen Plätze. Und dass die Verhandlungen mit den Gangstern auf einem Ausflugsdampfer spielen, ist auch keine schlechte Idee. Für Roberts Gefühlsumschwung lässt sich der Film aber zu wenig Zeit, wie es überhaupt am Ende ziemlich überhastet zugeht.
Seit »Die Lügen der Sieger«, der 2014 ins Kino kam, hat Christoph Hochhäusler keinen Film mehr realisiert, von 2017 bis 2021 arbeitete er als Dozent an der Berliner Filmhochschule dffb. War der Film mit Florian David Fitz schon eine ungewöhnliche Annäherung an den Journalistenfilm und den Verschwörungsthriller, so treibt »Bis ans Ende der Nacht« das Spiel mit dem Genre noch weiter. Man mag manches manieriert finden, den beeindruckenden Versuch war es allemal wert.
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