Kritik zu Wann kommst du meine Wunden küssen?
Rückkehr in den Schwarzwald: In ihrem zweiten Spielfilm nach »Staub auf unseren Herzen« erweitert Hanna Doose ihr System der familiären Verstrickungen noch
Eine zierliche Frau (Bibiana Beglau) macht sich in Ledermontur auf dem Motorrad auf den Weg von Berlin in den Schwarzwald. Eine andere Frau (Gina Henkel) kümmert sich dort mit einem jungen Helfer um die Viehzäune ihrer Ziegenfarm. Eine dritte (Katarina Schröter) steht in Kriegsbemalung mit einer Ziege an der Leine auf einer Anhöhe im verschneiten Wald und blickt ins Tal herunter. Es sind starke Bilder, mit denen Hanna Doose in ihrem zweiten Spielfilm, zehn Jahre nach dem vielgelobten »Staub auf unseren Herzen«, erneut eine schwierige Familienkonstellation eröffnet. Und wenn am Ende der Eröffnungssequenz der Blick aus der verschneiten Landschaft über den Brückenrand in die Tiefe eines Staudamms fällt, dann ist dieses zentrale Motiv des Films eine Metapher für den Abgrund, in den alle Mitglieder der erweiterten Großfamilie aus ganz unterschiedlichen Gründen schauen. Die Art, wie sich diese Hypotheken aus der Vergangenheit ganz langsam offenbaren, sich aus kleinen, beiläufigen Bemerkungen und bösen Spitzen sukzessive erschließen, gehört zu den besonderen Qualitäten des Films.
Die Schauspielerin Laura, die Regisseurin Maria und der DJ Jan (Alexander Fehling) waren einst ein eng verschweißtes Trio im Berliner Kultur- und Nachtleben, bis Laura ihrer besten Freundin den Freund ausspannte und mit ihm zusammen ein Aussteigerleben auf dem Bergbauernhof begann, der Maria und ihrer Schwester Kathi gehört. Wenn Maria nun, nach sechs Jahren Funkstille, in ihr Elternhaus braust, dann ist diese Heimkehr an die Wurzeln schon traditionell vermintes Gelände, auch ohne zusätzliche Probleme unter Freunden und Schwestern, etwa schwelende Eifersucht und eine tödliche Krebsdiagnose. Schon bei Marias Ankunft klingen hinter der scheinbar herzlichen Begrüßung Misstöne durch. »Welches Zimmer nimmst du?«, fragt Laura, »Na, mein altes«, erwidert Maria mit größter Selbstverständlichkeit und ohne Rücksicht auf die veränderten Konstellationen. Zähneknirschend räumt Laura das Zimmer, das sie mit Jan bewohnt und zieht in die Kammer, direkt neben dem Raum der todkranken Kathi. Auch morgens am Frühstückstisch hagelt es kleine Spitzen und latente Vorwürfe, und dann verkündet Maria en passant, dass sie den Bauernhof möglichst schnell verkaufen will, um ihren Teil des Erbes einzulösen, weil es in ihrem Leben eben längst nicht so gut aussieht, wie sie behauptet.
Dass das bei aller Schwere eine Leichtigkeit und Unmittelbarkeit entwickelt, in der sich ausgelassene und bittere Stimmungen, zarte Annäherungen und explosive Konflikte abwechseln, hat viel mit der besonderen Arbeitsweise von Hanna Doose zu tun. Sie steckt den Rahmen der Erzählung, überlässt es aber den Schauspielerinnen im Zentrum und den Schauspielern am Rande (u. a. Godehard Giese, Marc Hosemann), ihn mit ihren Persönlichkeiten und improvisierten Dialogen zu füllen. Die winterlich romantische Natur, die Kameramann Markus Zucker auf dezent poetische Weise einfängt, federt viele der Konflikte, die in den engen Innenräumen eskalieren, ab.
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