Kritik zu Till – Kampf um die Wahrheit

© Universal Pictures

Regisseurin Chinonye Chukwu schildert einen der berüchtigtsten Lynching-­Vorfälle in der Geschichte der USA aus der Perspektive der Mutter von Emmett Till, deren Auftreten der Bürgerrechtsbewegung entscheidende Impulse gab

Bewertung: 4
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Wer sich ein wenig auskennt mit der Geschichte des Rassismus in den Vereinigten Staaten von Amerika und vor allem der Bürgerrechtsbewegung von Mitte des 20. Jahrhunderts, dem dürfte der Namen Emmett Till vertraut sein. 14 Jahre alt war der Schwarze Junge aus Chicago, als er bei einem Verwandtschaftsbesuch im noch von der Rassentrennung geprägten Mississippi 1955 unbedacht und flapsig mit einer weißen Ladenbesitzerin flirtete. Seine darauf erfolgende Ermordung und der spätere Freispruch der beiden weißen Täter durch eine rein weiße Jury gelten heute als Beginn der nächsten, vehementen Phase des Civil Rights Movement.

»Till«, der neue Film der Regisseurin Chinonye Chukwu (deren eindrucksvolles Debüt »Clemency« hierzulande bis heute nicht zu sehen war), erzählt nun seine Geschichte. Oder viel mehr die seiner Mutter Mamie (Danielle Deadwyler) und ihres verzweifelten, in stiller Wut geführten Kampfes für Gerechtigkeit. Gemeinsam mit ihrem einzigen Sohn lebt die Witwe in Chicago, arbeitet für die Air Force, eine neue Heirat steht kurz bevor, der Kontakt zur eigenen Mutter (Whoopi Goldberg, die auch zum Produzententeam gehört) ist eng. Ein bescheidenes, aber glückliches Leben, das natürlich nicht frei von Rassismuserfahrungen, aber eben doch ganz anders ist als der Alltag in den Südstaaten, wohin Emmett (Jalyn Hall) seine erste eigene Reise unternimmt. Nach dem brutalen Lynchmord besteht Mamie auf einen offenen Sarg, um der Welt zu zeigen, was ihrem Kind angetan wurde. Und sie sorgt in Zusammenarbeit mit NAACP (der größten afroamerikanischen Bürgerrechtsorganisation) nicht nur dafür, dass dem Fall beträchtliche mediale Aufmerksamkeit zukommt, sondern lässt es sich allem Schmerz zum Trotz nicht nehmen, selbst in Mississippi vor Gericht auszusagen.

Chukwu zeigt die erschütternde Tat in ihrem Film nicht, wohl aber das zugerichtete Gesicht des Leichnams, was allerdings längst nicht der einzige Moment ist, der einem die Kehle zuschnürt. Was »Till« hier und dort an technischer Finesse und Budget fehlt, macht die Regisseurin dadurch wett, dass ihre Inszenierung mit emotionaler Wucht und Feingefühl gleichermaßen der realen Geschichte gerecht wird. Es hilft dabei enorm, dass sie sich auf eine bemerkenswerte Hauptdarstellerin verlassen kann, deren nuanciertes Spiel den Film zur Not auch würde allein tragen können. Deadwylers Name, der nach kleinen Rollen in »The Harder They Fall« oder Serien wie »P-Valley« und »Station Eleven« bislang bestenfalls Insidern ein Begriff sein dürfte, ist einer, den man sich merken muss.

Über allem aber schweben natürlich das Vermächtnis des echten Emmett Till und die bittere Erkenntnis, dass sein entsetzliches Schicksal und die gesellschaftspolitischen Umstände, die es begünstigten, nicht einmal 70 Jahre zurückliegen. Ganz zu schweigen davon, dass US-Präsident Joe Biden mit dem »Emmett Till Antilynching Act« erst im März 2022 Lynchmorde bundesweit zu einem Hate Crime erklärte.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt